Grenzlandtage von Peer Martin und Antonia Michaelis | Buchbesprechung

22 März 2017

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Zwei Wochen Ferien liegen vor Jule, zwei Wochen Frühling auf einer winzigen griechischen Insel. Das Meer ist blau, die Nächte sternenklar, und das Dorf duftet stets nach frischem Brot. Alles scheint perfekt. Bis Jule den Jungen mit der verbundenen Hand trifft. Bis sie begreift, wer er und die anderen sind, die im Verborgenen leben. Jules Welt gerät aus den Fugen. Denn das Meer ist ein Grab, das Dorf ein Ort des Misstrauens, und die Nächte sind kalt. Und quer durch die Wellen läuft eine Grenze, die niemand sieht. Eine tödliche Grenze.


Oetinger | Original Deutsch | Taschenbuch | 13,99 Euro [D]

Ich konnte meinen Augen zuerst gar nicht trauen, aber schlussendlich hielt ich dann selbst ein Exemplar in der Hand. Tatsächlich, Antonia Michaelis, die Worte in Bilder verwandelte, Buchstaben in wundersame Kreaturen und Texte in flüssiges Gold, und Peer Martin, der scharf und dennoch feinfühlig von brisanten Themen berichtet und die geschickt und galant einzubauen weiss, der mich absolut und völlig von seinem 'Sommer unter schwarzen Flügeln' überzeugen konnte, dass ich fast schon mit tatsächlich hohen Temperaturen mitfieberte, ob der Roman nun den wohlverdienten deutschen Jugendbuchpreis gewinnen wird oder nicht. (Übrigens - ja, hat er dann glücklicherweise auch.)



Davon abgesehen ist schwer in Worte zu packen, welche Vorfreude mein Blut durchfloss, während ich kaum erwarten konnte, mich ihn ihren verwebten Worten zu verlieren. Vorfreude ist die schönste Freude, fällt mir da prompt ein, aber ich muss diese Redewendung wohl zum ersten Mal wirklich negieren. Vielleicht auch nicht ganz, denn so toll und bewegend das Lesen war, so harte Themen packt das Buch auch in Worte. Es ist nicht immer ganz leicht, Jugendliche zum Lesen zu bewegen. Und wenn, hängen sie oft in Fantasywelten umher. Dabei sind sie in diesen Zeiten wohl am stärksten - nun ja, gut, auch wenn ich mit der Wortwahl nicht ganz zufrieden bin - am beeinflussbarsten. So kann sich eine Erfahrung, so hat sich das Buch nämlich angefühlt, unglaublich prägend auswirken. Ich greife zu so vielen Bücher aus einer gewissen Art von Wissbegierigkeit - nein, ich bin nicht eine, die liebend gerne zur Schule geht, aber wenn ich bedruckte Seiten sehe und mir vorstelle, wie viel mehr ich danach wissen, kennen, erfahren habe, dann kann ich mich nur schwer zurückhalten. Und dieses Buch hat mir unglaublich viel gegeben. Dabei bin ich nicht mal so unwissend oder unpolitisch wie unsere Protagonistin Jule, im Gegenteil, ich beschäftige mich viel mit der Flüchtlingskrise und Flüchtlingen selber, sowie deren Situation hier in der Schweiz. Trotzdem konnte ich mich unglaublich gut mit Jule identifizieren. Sie ist 17 und macht gezwungenermassen alleine Ferien auf einer griechischen Insel, und nicht nur ist mein Traum schon lange mal das eigene Verreisen, das Entdecken auf eigene Faust, diese Selbstbestimmtheit zu spüren, nein, ich war auch schon zweimal auf griechischen Insel und habe das Lebensgefühl und die Mentalität dort tief eingesogen. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, wenn ich ganz ehrlich bin. Denn die Gerüche, die Klänge, das Gefühl von Freiheit und Unbändigkeit wird so voller Inbrust beschrieben, dass ich mit Jule mitgereist bin und auf dieser kleinen griechischen Insel gelandet bin, ganz unverhofft, aber unglaublich glücklich.

Durch die Geschichte ziehen sich der Schmerz von neuen intensiven Erfahrungen und Begegnungen wie durch das echte Leben, prägende Momenten wird so schmerzvoll Eindruck geschaffen, als hätte sich wirklich etwas durch die Haut gebrannt. Antonia Michaelis schreibt schon lange so, als würde sie mehr als andere Autor_innen verstehen. Sie reiht nicht nur Worte aneinander, um eine andere Realität wiederzugeben, sie weiss auch die Fantasie, Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, ihre Düsterheit und manchmal eben auch ihre Verletzlichkeit, so wie hier. Peer Martin kenne ich da leider schlecht, aus seiner eigenen Feder habe ich bisher 'nur' etwa 500 Seiten gelesen, aber sie haben mich von ihm absolut überzeugt, als brillianter Geschichtenerzähler, der nicht nur weiss, wie man mit Romantik umgeht, sondern auch so viel mehr macht, als man von der Ausgangslage erwarten würde. Sie beide in Kombination, und ich weiss, davon habe ich nun schon oft geredet, haben ein beinahe zeitloses Werk geschaffen, dass wie kein vergleichbares von Anfang bis zu Ende erzählt. Es spielt nicht, wie viele andere, im Land der Asylanträge. Es spielt auch nicht eine ganze Flucht durch, denn sie scheinen genau zu wissen, dass es für jemanden ohne solche Erfahrung unmöglich ist, eine Erlebnis wie dieses nachzukonstruieren. Hingegen wissen sie genau, wo wir stehen, wie wir mit Flüchtlinge in Kontakt kommen könnten und spielen das ganze Szenario durch, voller Unverständnis und Verleugnung manchmal, aber am Ende ist es die Wahrheit, die Ehrlichkeit, die tief in uns allen steckt, die siegt. Und ich weiss, wie unglaublich kitschig sich das jetzt anhören mag, deswegen möchte ich euch eine der schönsten Liebesgeschichten empfehle, eines der wichtigsten und prägendsten Bücher für Jugendliche, die jetzt während der Flüchtlingskrise scheinbar 'normal' weiterleben - lest dieses Buch, bitte.

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