sec 25 | buchhandlung

27 April 2017

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Die zweite Buchhandlung in unserer Reihe / Reise durch Zürich ist sec52. 
Der Name rührt daher, dass sie sich die Buchhandlung von Rico Bilger an der Josefstrasse 52 befindet. Diese liegt mitten im Zürcher Kreis 5, einem lebendigen und authentischen Viertel. Wir streichen oft durch dieses Quartier, in welchem sich auch viele unserer liebsten Cafés und Second-Hand-Shops befinden, wir lieben die künstlerische Atmosphäre und die verschiedenen Kulturen, die hier seit Jahren absolut friedlich aufeinandertreffen. Falls erwünscht werden wir euch Zürich und seine Kreise selbst mal noch näher bringen! 
Sec52 ist im Umkreis auch der einzige Buchladen, und wird auch deswegen am Samstag oft schnell voll. Die Auswahl gefällt uns beiden unglaublich gut, man fühlt sich wohl und wie in einer gut sortierten Bibliothek, so wie's sein sollte. Da die Räume klein sind, reichen die Regale vom Boden bis zur Decke und wer Bücher liebt, ist hier im Himmel. 
Die Einteilung gefällt uns besonders gut, man findet neben aktueller und spezieller Belletristik auch viel Poesie, englische Bücher, Kunst- und Designbücher und Kochbücher, genauso wie eine kleine aber feine Auswahl an Notizbüchern und Postkarten.
Auch wenn der Laden geschlossen hat, bietet das Schaufenster immer viel zu sehen. Es zeigt eine schöne Auswahl an besonderen Büchern, die es im Laden zu kaufen gibt.
Wenn man die Buchhandlung dann betritt, bekommt man noch viel stärker als in anderen Buchhandlungen das Gefühl, dass hier Bücher wirklich geliebt werden. Auf den ersten Blick, trotz unseres Lobs für die Einteilung, wirken die Räume fast ein bisschen chaotisch, eben wie bei Buchliebhaber_innen zu Hause. Aber schon nach ein paar Besuchen kennt man sich hier eben auch wie zu Hause aus, denn wiederkehren möchte man unbedingt. Und trotzdem findet man immer wieder neue Schätze!



Rico Bilder hat sich wirklich mit Leib und Seele den Büchern verschrieben. Neben seiner wunderschönen Buchhandlung hat er nämlich auch einen eigenen Verlag, der bilgerverlag. Dieser ist klein, bringt dafür aber wirklich besondere und auserwählte Bücher heraus. Hier könnt ihr euch das aktuelle Frühjahrsprogramm anschauen. Das Gefühl, welches er mit seiner Buchauswahl vermitteln möchte, spiegelt sich darin natürlich stark wieder. So werden alternative und andere Sichten gezeigt, ebenso wie der Schauplatz variiert und viele Karten neu gemischt werden. Genau das ist, was uns gefällt. Aber auch bei der Poesie hat er wirklich ein gutes Händchen und übersetzte so das von uns geliebte 'The Coral Sea' von Patti Smith, das Korallenmeer. 



Buchhandlung sec52
Josefstrasse 52
8005 Zürich

www.sec52.ch

Besonderheiten
+ Eigener Verlag, bilgerverlag
+ Bücherregale bis zur Decke
+ Eigene, unkonventionelle Ordnung, gute Auswahl
+ nette und ausführliche Beratung
+ gutes Poesie und Kunstbuch Programm
+ gute Lage
+ riesiges Schaufenster, welches die Auswahl widerspiegelt



Möchtet ihr neben mehr unserer Lieblingsbuchhandlungen auch andere Tipps für unser geliebtes, vielfältiges Zürich hier erfahren? Lasst es uns wissen...

Nina und Tom | Buchgedanken

26 April 2017

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Tom liebt Nina. Nina liebt Tom. Sie hat nur noch wenige Tage zu leben. 

So jemanden wie Nina hat Tom noch nie gesehen: Sie sieht aus wie ein Knabe und hat diesen Gangsterblick, der keine Schwächen zulässt. Er selbst bastelt Feuerbomben und inszeniert Geschichten, die wie die Wahrheit klingen. In Barcelona lernen sie sich kennen, in Berlin experimentieren sie mit Sex, Pop und Drogen, und in L. A. gründen sie eine Familie. Nina & Tom sind das ungleiche Paar, das nur die Extreme kennt. Doch nun, nach dreißig gemeinsamen Jahren, ist Nina krank. Sie wird sterben. Und niemand kann sie davon abhalten, ihre letzten Tage in Freiheit zu verbringen. Ein Buch, wie es nur das Leben schreiben kann.

'Nina und Tom' ist ohne Frage ein aussergewöhnliches Buch.
So gnadenlos ehrlich Tom Kummers Worte wirken, so stechend scharf schwarz auf weiss, schmückt das Buch doch nirgends ein Attribut in Richtung 'autobiographisch'. Vielleicht hat dies eine ganz einfache Erklärung - vielleicht bewegt sich Tom Kummer nämlich mal wieder auf einer schmalen Linie, die zwischen Fiktion und Wahrheit. Und wirft damit Fragen auf. Ist gute Fiktion nicht ähnlich wahr wie reine Wahrheit? Er überlässt uns damit auch noch eine weitere Aufgabe. Glauben, was wir glauben. Genau darum geht es im Roman ebenfalls, um das Erwachsen und (Sich-)Bewusstwerden zweier Menschen, welche ihren Platz in der Welt suchen und ihrem eigenen Glauben folgen.
Dabei wirken Nina und Tom so tief miteinander verbunden und doch so individuell und eigenständig, wie es nur ein echtes Leben und ein echtes Paar sein können. Wir dürfen sie also auf ihrem wilden Weg begleiten und Kennenlernen und dabei sind die beiden wie Freunde.
Denn anders als bei anderen Büchern scheint ihre Dickköpfigkeit und Eigensinnigkeit durch die rein literarische Zeichnung der Charaktere durch. So sind uns Leser_innen die Personen sympathisch oder nicht und abhängig davon gefällt uns das Buch oder nicht - obwohl ich sonst immer stark daf¨r bin, die Sympathie zu den Charakteren vom ganzen Eindruck des Buches zu trennen, wird hier das doch fast exzessiv verlangt. Aber ich kann gar nicht wirklich von Sympathie oder Antipathie sprechen. Denn Nina und Tom, genauso wie das Buch, strahlen auf mich einfach etwas unglaublich Faszinierendes aus. Vor allem ihre Menschlichkeit und die Schwäche in ihren Stärken, die wirklich brilliant scheint.

Jeder Tag kann der Schönste in deinem Leben sein | Buchbesprechung

23 April 2017

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Flora Banks Leben ist wie ein tausendteiliges Puzzle in allen Farben des Regenbogens. Jeden Tag muss sie es erneut zusammensetzen. Sie muss sich daran erinnern, wer sie ist und was los ist. Manchmal stündlich. Nichts, was seit ihrem 10. Geburtstag passiert ist, bleibt ihr im Gedächtnis. Doch auf einmal ist da diese eine Erinnerung in ihrem Kopf. Und sie bleibt, verschwindet nicht wie die anderen Details aus ihrem Leben. Es ist die Erinnerung daran, wie sie nachts am Strand einen Jungen geküsst hat. Bewaffnet mit Handy, Briefen von ihrem Bruder aus Paris, einem prallgefüllten Notizbuch und tausenden von Zettelchen macht sich Flora Banks auf eine Reise, die sie letztendlich zu sich selbst führt. Denn zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie jetzt entscheiden, wer sie wirklich sein will.

Dieses Buch von Emily Barr wurde von Maria Poets ins Deutsche übersetzt und ist im diesjährigen Frühlingsprogramm vom Fischer Verlag. Die Geschichte handelt von Flora, eine Protagonistin, die mir während des ganzen Buches einfach nicht wirklich sympathisch wurde. Das hat vorwiegend damit zutun, dass man durch ihre Gedächtnisschwäche einfach nicht wirklich an das Mädchen herankommen konnte. Ich fand es während des Lesens sehr umständlich und mühsam immer wieder  aus Floras Sicht die eigenen Notizen auf ihren Händen zu lesen. Es dauert ewig, bis einmal etwas passiert. Die Geschichte ist irgendwie sehr 'strub'. Der Kuss, der in Floras Leben alles veränderte und es völlig auf den Kopf gestellt hat, ist absolut unromantisch und extrem kitschig! Am Strand, nach einer Party unter Alkoholeinfluss und dann erst noch mit dem Freund ihrer besten Freundin. Für mich war es deshalb nicht nachvollziehbar, dass jeder zweite Satz im Buch Ich liebe Drake ist. Mit diesen drei Worten wird um sich geworfen, so oft, dass es einfach zu überspitzt und unlogisch herüberkommt. 



Flora leidet an einer Amnesie. Sie ist nicht fähig sich an bestimmte Ereignisse zu erinnern seit sie zehn Jahre alt ist. Sie vergisst jeden Tag aufs Neue, wer sie ist, wo sie ist, was sie macht und ist absolut hilflos. Nun endlich hat sie aber eine Erinnerung an die sie sich klammert. Eben dieser Kuss mit Drake. Drake lebt aber nun nicht mehr in ihrem Örtchen, sondern in der Arktis. Die ersten Tage schreiben die beiden einander Emails, die meiner Meinung nach extrem übertrieben und zu extrem sind. Ein Beispiel: Er erzählt ihr, dass er sehr viel Zeit damit verbringt, sie nackt zu sehen. Die beiden haben sich ja nur geküsst und eigentlich gar nichts miteinander zu tun gehabt zuvor, eine viel zu krasse Wandlung, wie ich finde. Flora macht sich dann auf den Weg in die Arktis um ihren Traummann zu finden und Zeit mit ihm zu verbringen. Der zweite Teil der Geschichte ist definitiv spannender als der erste. Aber auch hier haben wir es mit unzähligen Wiederholungen zu tun und die Geschichte geht auch da nicht wirklich vorwärts. Richtig spannend wird der Roman erst im  dritten und letzten Teil. Hier wird nämlich das Rätsel aufgelöst und es werden einem einige spannende Fakten geliefert.


Das wäre doch ein spannendes Thema für die Geschichte. Ich habe mich gefragt, ob Emily Barr einen zweiten Band schreiben würde. Das wäre eine gute Basis für ein Jugendbuchroman, ein bisschen Abenteuer, Freundschaft, Liebe und Probleme, die sich zur Abwechslung nicht nur um Jungs drehen. Mir scheint es fast, als hätte die Autorin nicht mehr genau gewusst, was sie denn zum Schluss schreiben soll, und dann einfach abrupt alles zu Ende gebracht hat. Trotzdem hört es nicht ganz abgeschlossen auf, und lässt viel Platz für Neues. Denn hier werden keine Wiederholungen mehr gemacht und alles geht etwas schneller vorwärts. Da das Buch aber auch keinen harten oder schweren Inhalt hat, habe ich es in kurzer Zeit beendet und schon nach einem Tag niederlegen können. 

Jeder Tag kann der schönste in deinem Leben sein, ist ein Buch, das mir so von der Thematik einfach nicht wirklich zugesprochen hat. Weder heute noch vor ein Paar Jahren. Ich merke mit jedem Jugendbuch, das ich beende, dass es mir einfach nicht mehr zuspricht und dass der Lesespass nicht mehr derselbe ist. Ich möchte mich Belletristik widmen, die mir etwas lehrt und die mir im Kopf bleibt. Hier war das leider nicht der Fall, mir hat das Buch leider nicht so gut gefallen. Aber es gibt bestimmt junge Leute, die sich dieser Art von Büchern lieber vornehmen, als ich.



Vielen herzlichen Dank an den Fischer Verlag für die Zustellung dieses Rezensionsexemplars!







ohrfeige | livresque amitié

19 April 2017

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Hier erzählt eine Freundschaft von ihrer Liebe zu Worten, dem Schreiben und Büchern.

Wir suchen uns Bücher aus, die uns faszinieren und lesen diese dann gleichzeitig. Während und unmittelbar nach dem Lesen behalten wir unsere Gedanken nur bei uns und widmen sie einzig einem Notizbüchlein. Später tauschen wir dieses dann aus um an der Meinung der jeweils anderen teilzuhaben. Hier erfahren wir dann, ob wir das Gelesene gleich  empfanden oder ob es Differenzen in unseren Ansichten zum Buch gibt. In den folgenden Beiträgen dieser etwas anderen Buchbesprechung werden auch die Seiten unserer schwarzen Notizbüchern abgebildet, damit auch ihr als Aussenstehende zwei direkte Auffassungen von ein und demselben Buch zu lesen habt. Wir sind wahnsinnig gespannt auf dieses Experiment.


Ein Flüchtling betritt die Ausländerbehörde, um ein letztes Mal seine zuständige Sachbearbeiterin aufzusuchen. Er ist wütend und hat nur einen Wunsch: dass ihm endlich jemand zuhört. Mit unverwechselbarer Stimme stellt Abbas Khider das Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft in Frage. Als Karim drei Jahre zuvor von der Ladefläche eines Transporters ins Freie springt, glaubt er in Frankreich zu sein. Bis dorthin hat er für seine Flucht aus dem Irak bezahlt. In Wahrheit ist er mitten in der bayerischen Provinz gelandet. – Er kämpft sich durch Formulare und Asylunterkünfte bis er plötzlich seinen Widerruf erhält und abgeschoben werden soll. Jetzt steht er wieder ganz am Anfang. Dieser ebenso abgründige wie warmherzige Roman wirft eine der zentralen Fragen unserer Gegenwart auf: Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf?




Mara

Es ist das Jahr, indem ich zu laufen begann, indem der Protagonist von Abbas Khiders Roman in Deutschland ankommt. Es ist das Jahr, indem der 11. September eine schwere Bedeutung zugeschrieben bekam und Karim Mensy, ebenjene Figur, seine Aufenthaltsbewilligung bekam - dies womöglich im Frühling, womöglich im Sommer, in jedem Fall aber vor diesem Attentat, welches für ihn besonders folgenschwer war. Seine Aufenthaltsbewilligung wurde Mensy entzogen, eine weitere illegale Flucht stand ihm also bevor. Jedoch verursachte die Ablehnung nicht sofort strategisches Planen von ihm, sondern vor allem selbstverständliches Unverständnis. Dies sollte jedoch die Seite wechseln. Und auch wenn seine Sachbearbeiterin ihm niemals zugehört hätte, erzählt er ihr hier seine Geschichte. Dabei ist Abbas Khider etwas besonders wichtig und vor allem auch gelungen: während Flüchtlinge oftmals namenlos, einer aus einer Masse, eine Zahl als ganzes oder einzelnes ist für die 'Einheimischen', wird einem von ihnen hier Identität und Individualität zurückgegeben, seine Sachbearbeiterin ist und bleibt jedoch geschickterweise anonym. Ob er ihr die Geschichte letztendlich wirklich erzählt, wissen wir nicht; denn so hart sie ist, hat er sich ihretwegen in den Drogenkonsum, in den Rausch geflohen. Eindringlich erzählt er dann von seinem Leben, welches so anders ist als das vieler Menschen, die im selben Kaff ansätzig sind. Er gibt auch seinen Mitgeflüchteten Lebendigkeit und Farbe zurück, und löst bei der Leser_innenschaft Mitgefühl und Verständnis aus. Interessante Aspekte kommen zum Zug, da Abbas Khider selbst Fluchterfahrung gemacht hat und so zielsicher formulieren vermag, wie sich das Verstecken in der Öffentlichkeit am Besten umsetzen lässt und spürt dabei scheinbar mühelos dem Rassismus unser alteingewohntes Strukturen auf. Im Buch scheint nichts halbherzig und Khider verschont uns zwar nicht, verschlimmert aber auch keine Details. So bekommt das Buch seinen ganz eigenen, konstanten Rhythmus, der nur manchmal von kursiv gesetzten, durch den Rau(s)ch vernebelten Gedanken und Gefühle aus der 'Zukunft' unterbrochen wird. Khider hat ein wichtiges Buch verfasst, was nichts auslässt, wenn es um das deutsche Asylwesen geht. Ausser vielleicht die Empathie der Behördenangestellten - moment mal, diese existiert ja auch nur ganz selten. Das Buch fungiert eben auch als Plädoyer, für das Zuhören und der daraus resultierenden Empathie. Ich bin sehr dankbar, dieses Buch erfahren haben zu dürfen.

Anaïs

Ich hätte mir keinen besseren Moment vorstellen können, um dieses Buch zu beenden: In der Badewanne an einem regnerischen Montagabend mit ruhiger Musik meiner Lieblingssänger im Hintergrund. Abbas Khider hat ein unglaubliches Buch geschrieben. Ohrfeige ist wohl eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Ich kann gar nicht recht beschreiben, was dieses Buch alles mit mir angestellt hat. Mein Horizont wurde aber definitiv erweitert. Es erzählt so viel Neues und so viel Altbekanntes. Es erzählt von einem Menschen, der dort, wo er war, nicht bleiben konnte und der da, wo er jetzt ist, keinen Weg findet ein neues und besseres  - oder überhaupt ein neues Leben zu finden. Er steckt in einer ewigen Sackgasse. Nichts scheint zu einem vernünftigen Ende zu führen. Die Tage sind gezählt. Die Zeit endet, obwohl sie in der neuen Heimat, wenn es dann je eine sein wird, noch gar nicht richtig begonnen hat. So hart, einfach und ohne jegliches Feingefühl schafft es Abbas Khider uns in seinen Worten gefangen zu nehmen und lässt uns einmal mehr unser privilegiertes Leben schätzen. Er bringt Schamgefühle in einem hervor. Ich schäme mich beinahe, dass ich aus gutem Haus komme. Dieses Buch ist so wichtig - alle Menschen sollen es lesen! Es spielt keine Rolle, dass es nicht direkt die jetzige Flüchtlingskrise anspricht, sondern diejenige um die 2000er Wende. Dieses Werk ist hoch aktuell, zeitlos und gerade schon ein Nachschlagewerk in Form eines Romans. Es sollte eine Schullektüre sein, aber nicht nur das: Es ist so viel mehr und soll so viel mehr noch sein. In diesem  eindringlichem Buch wird von einem Menschenleben erzählt, das so vielen Millionen Menschen gehören könnte - auch uns. Millionen von Menschen teilen das selbe Schicksal. Wahnsinnig eindrücklich. Nur schon der Aufbau der Geschichte - sie wird nämlich Frau Schulz von der Ausländerbehörde erzählt. Make love, not war.





jeder tag gehört dem dieb von teju cole | buchbesprechung

12 April 2017

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Ein junger New Yorker kehrt nach Nigeria zurück. Er kommt bei Verwandten unter, trifft alte Freunde, durchstreift die Strassen von Lagos, der Stadt seiner Kindheit. Doch die ist ein Moloch: jeder Beamte korrupt, jede Begegnung ein Wagnis, jede Nacht ein vergeblicher Versuch, Ruhe zu finden. Und jeder Tag ein Spiegel, in dem er sich selbst immer klarer sieht. Er erlebt die Stadt wie eine grosse, schrecklich enttäuschende Liebe. Soll er bleiben oder fliehen?

In seinem Debut sinniert Teju Cole über sein Heimatsland Nigeria. Dabei verleiht er seine Stimme einem namenslosen Protagonisten, welcher nach 15 Jahren die Rückkehr in seine sogenannte Heimat antritt. Schnell bemerkt er allerdings, dass es sich nicht nach Heimat anfühlt, sondern nach Fremde, oder zumindest nach etwas Enttäuschendem.



Teju Coles zweites Buch 'Open City' wurde international gefeiert und hielt auch bei mir Einzug, allerdings hat mich sein unpopuläreres erstes Buch mehr angesprochen. Dass dieses Buch nicht gleichmässig bekannt ist, hat indirekt mit dem Inhalt zu tun - Der Autor kritisiert mit seinem Schreiben Nigeria und dessen Verarmung an Kultur, gleichzeitig erschien der Roman in einem nigerianischen Verlag, wodurch er wenig Berühmtheit erfuhr, meiner Meinung nach nicht zurecht. Denn Teju Cole legt uns hiermit ein Werk vor, dass eine sogartige Wirkung hat, dass mich zum ersten Mal wirklich an den Spruch glauben lässt - Lesen ist wie Reisen. Denn wir erfahren hier eine Stadt, Lagos, in all ihren Ausmassen, wir erleben das Begeisternde und das Abstossende, allen voran das Faszinierende in dieser Fremde.



Spannend ist ja, wie ein Nigerianer dorthin zurückkehrt. Unser Protagonist verbrachte fünfzehn Jahre in New York, ohne dazwischen je wieder in seine Heimat einzureisen. Das gibt dieser vermeintlichen 'Rückkehr' viel grösseres Gewicht. New York als unglaublich sympathischer Gegenpol, eine Stadt, welche sowohl vor neuster Technologie und Modernität strotzt, wie auch in all seiner Grösse das Detail, die Kunst und die Sinnlichkeit einer Stadt in jedem Ecken bereithält. New York durfte ich bereits selbst erleben, und selten konnte mich die Vielfältigkeit einer Metropole so beeindrucken. Dagegen scheint Lagos eintönig zu sein. Die Stadt funktioniert nach ihren eigenen Regeln, und diese sind wohl keinem aus der nordwestlichen Welt bekannt. So begegnet der Protagonist bereits an der ersten Haltestelle, dem Konsulat in New York, Korruption. Diese Begegnung macht ihn fassungslos, mehr noch, als sie vielleicht uns als Nicht-Einbezogene fassungslos machen würde, und sie besetzt ihn. Kaum gelandet, stürzen wir uns auf dieses Thema und entdecken es tatsächlich auch in jedem noch so versteckten Winkel. Das korrupte Nigeria. Dann aber beginnt er mit seinen Beobachtungen, erzählt von diesen, und sie sind so kunterbunt und fremd, wie ich kaum glauben konnte. Er trifft auf unterschiedliche Menschen, auf unterschiedliche Interessen, auf unterschiedlichen Umgang mit verschiedenen Situation. Und auch auf immer wieder sich ähnelnde Muster.



Und so entwirft Teju Cole ein Bild von einem Nigeria aus dem Heute, aber überlappt es mit Erinnerungsfetzen, Gedankengängen und tiefen Emotionen, von Verwunderung, Abneigung und Liebe. Dabei entsteht auch ein ganz eigenes Gefühl von Heimat, welches er mit seinen behutsam gewählten Worten so gut zu vermitteln weiss - Chapeau. Und vielen Dank, denn ich bin nun um einige Erfahrungen und irgendwie eine Reise nach Nigeria reicher.

Podiumsdiskussion mit Laurie Penny | Feminismus

09 April 2017

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Anlässlich des Frauentags habe ich mich auf ein ganz besonderes Event geplant. Im Zürcher Kaufleuten - Restaurant, Event-Location und Club, immer wieder auch Behausung verschiedener Lesungen, Diskussionen und allerlei spannenden Buchvernissagen - fand eine Podiumsdiskussion / Lesung / alles zusammen mit Laurie Penny statt und ich schätze mich unglaublich glücklich, diese miterfahren zu haben - will nunmal alle Welt Laurie Penny, besonders am Frauentag, und darf ich sie dann hautnah und so ehrlich, quickfidel, betroffen über die Weltlage, aufgeregt, empört und witzig erleben. Ich möchte euch jetzt auch ein bisschen teilhaben lassen an diesem spannenden Abend, an dem feministischen Gedankengut, welches fast schon sicht- und spürbar durch den Raum schwebte und uns alle in seinen Bann zog. 

"Dies ist kein Märchen. Dies ist eine Geschichte darüber, wie Sex, Geld und Macht Mauern um unsere Fantasie errichten." Laurie Penny plädiert für einen Feminismus, der keine Gefangenen macht: es geht um Gerechtigkeit, um Gleichheit und um die Freiheit, zu sein, wer wir sind, und zu lieben, wen wir wollen. Dieses Buch ist ein Aufruf zur Meuterei gegen jene, die uns mundtot machen wollen.

Bildergebnis für laurie penny kaufleuten



Ich und Anaïs nehmen gemeinsam bei einem Schreibprojekt teil, von dem wir euch allenfalls ein anderes Mal ein bisschen mehr erzählen, allerdings passt diese kleine Anekdote so schön als Start hier rein. Texte muss man überarbeiten, und am besten tauscht man sich darüber aus - und unsere Mentorin, welche erfolgreiche Autorin ist, meinte zu diesem Zeitpunkt, dass es da ganz unterschiedliche Menschen gibt. Manche schreiben Anmerkungen rein, manche graben Kritik ein und loben, wo es nichts zu loben gibt und wieder andere wollen deinen Text umformen, bis er in ihre Vorstellungen passt - und zwar genau so, wie sie dies möchten. Und das sind öfters Männer. Diese, und es widert mich natürlich ein bisschen an, dies nun so zu schreiben, 'natürliche' Dominanz des Männlichen, beispielsweise auch gut ersichtlich, wenn ich als junge Frau mal nicht ausweiche, dann teile ich am häufigsten diese seltsamen Moment - links? rechts? - mit Männern, weil die auch seltener ausweichen. Ja, es stimmt. Wir haben hier Gleichberechtigung erreicht, auf dem Papier, im Gesetz. Aber was ist mit den konservativen Köpfen vieler Menschen hierzulande? Was ist mit der Praxis, in der immer noch viel zu viele junge Frauen vergewaltigt werden oder Opfer von sexueller Gewalt? In der Frauen noch immer weniger verdienen? In der man immer wieder von Männern hört, die sich eine junge Frau angeln und nochmals von vorne ein neues Leben mit neuen Kindern starten, während Frauen dies viel seltener machen, schlichtweg nicht können? Was ist mit der Realität, in der unsere Weltlage von teilweise diktatorischen und frauenverachtenden Männer regiert wird? 
Frauen sollten mindestens drei Kinder gebären. Die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau ist unnatürlich. Geburtenkontrolle sei 'Verrat'. - Erdogan
"Grab 'em by the pussy." - Trump

Reicht es also, dass die Gleichberechtigung anscheinend erreicht ist - bis hierher und nicht weiter? Gibt es keine bessere, gerechtere Welt? Müssen, Dürfen wir nicht mehr kämpfen, wegen unseren Privilegien? All dies sind keine leichten Fragen, aber Laurie Penny stellt sie sich und der Welt, sie kann nicht immer oder laut ihr nie Antworten finden, und doch überzeugt ihr Denken so viele Menschen vom Feminismus und inspiriert auch mich immer wieder. Die erste Frage, die ihr gestellt wurde - wie erlebt sie den Feminismus heute? Und treffend antwortet sie, dass heute zumindest nicht mehr überall gefragt ist, ob es Feminismus noch braucht. Der Mainstream-Feminismus, der die grossen Massen anspricht, begrüsst sie im Gegensatz zu Bitch-Gründerin Andi Zeisler. In etwa meinte sie, dass Beyonce sehr wohl stolze Feministin sein kann, solange sie sich ihrer Privilegien bewusst ist. Interessant finde ich hier, wie Meinungen aufeinanderprallen. Die oftmals mit dem Schlagwort 'Feminismus' verbundene Freizügigkeit und Nacktheit von Celebritys wird allerdings, wie ich finde, zurecht kritisiert. Denn auch wenn eine Frau aus völlig freier Entscheidung heraus sich so präsentiert oder auch beispielsweise ihren Körper operieren lässt, ist ein gewisser Zwang namens 'medial geprägte Schönheitsideale' dahinter - sonst würde es genauso viele Brustverkleinerungen wie Brustvergrösserungen geben. Aber damit kann man sich abfinden, und schlussendlich ist es auch schön, wenn viele Menschen sich stolz Feminist_innen nennen, nur bilden sich viele selbsernannte Feminist_innen nur sehr eng auf diesem grossen, breiten Feld und bringen den Feminismus so auch wieder in Verruch. Ihr seht, es gibt keine Lösung. Allerdings ist Feminismus keine Identität, sondern ein Prozess. Was für ein wunderbarer Satz aus der Feder von Laurie Penny! Und ich bin unglaublich froh, durfte ich live weitere wichtige Gedankenanschübe miterleben, aber gleich doppelt froh, dass es noch ganz viele Bücher von ihr gibt - deren Rezensionen nach und nach hier eintrudeln werden.

opfer | livresque amitié

05 April 2017

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Hier erzählt eine Freundschaft von ihrer Liebe zu Worten, dem Schreiben und Büchern.

Wir suchen uns Bücher aus, die uns faszinieren und lesen diese dann gleichzeitig. Während und unmittelbar nach dem Lesen behalten wir unsere Gedanken nur bei uns und widmen sie einzig einem Notizbüchlein. Später tauschen wir dieses dann aus um an der Meinung der jeweils anderen teilzuhaben. Hier erfahren wir dann, ob wir das Gelesene gleich  empfanden oder ob es Differenzen in unseren Ansichten zum Buch gibt. In den folgenden Beiträgen dieser etwas anderen Buchbesprechung werden auch die Seiten unserer schwarzen Notizbüchern abgebildet, damit auch ihr als Aussenstehende zwei direkte Auffassungen von ein und demselben Buch zu lesen habt. Wir sind wahnsinnig gespannt auf dieses Experiment.


 
"Wir haben in einer Lügenwelt gelebt! Wir haben falsch gelebt! Wir haben uns eingebildet, dass es eine Gesellschaft gibt, eine Gemeinschaft, und jetzt zeigt sich, dass das alles in vierundzwanzig Stunden aufgelöst, aufgehoben und gestrichen werden kann! Wir Menschen wollen niemanden, wenn es ein Risiko beinhaltet. Es gibt keine Nächstenliebe oder Empathie! Es gibt nur Begierde und Egoismus! Und weil wir das nicht erkennen, geht es uns schlecht! (...) Gemeinschaft und Menschlichkeit - das alles haben die Erwachsenen uns eingeredet. Aber jetzt haben wir den Beweis! Wir sind hier eingesperrt und ich frage euch: Gibt es da draussen jemanden, der an uns denkt? NEIN!...so lautet das euphorische Zitat auf der Rückseite des Jugenbuchs 'Opfer', erschienen im Hanser Verlag, das Original in Dänisch unter dem Titel 'Skolen' verfasst und auf Deutsch von Friederike Buchinger übersetzt, für 13.90 Euro (D) erhältlich.



Anaïs:
Ich kann nicht sagen, ob dieses Buch eine tiefere Message hat. Ob es einfach skurriles Werk ist, das uns Lesern Nahe legen möchte, was mit Menschen in einer Notsituation passiert. Das 140 Seiten kurze Buch habe ich in nur einer Stunde durch gelesen. Benjamin ist die Hauptperson unserer Geschichte. Er ist der Sohn des Schulleiters und  wird an einem Tag ganz plötzlich mit der ganzen Schule eingesperrt. Sie sitzen in dem Gebäude fest. Abgeschottet von der Aussenwelt, kein Entfliehen ist möglich. Beim Lesen habe ich mir die ganze Zeit über nur die eine Frage gestellt: Was nun? Wieso passiert das? Es ist seine Quarantäne, die Schüler und Lehrer werden krank und sterben alle an den selben Symptomen. Das Buch zeigt, wie wir unseren Alltag immer wieder - egal in welchen Situationen versuchen aufrecht zu erhalten. Und dann brennt mit uns trotzdem irgendwann eine Sicherung durch. Auch wenn man irgendwo schon solche Hits mit einer tieferem Bedeutung erahnen können, kam mir der Roman (oder was auch immer dieses Buch ist) extrem skurril, verwirrend und verrückt vor. Und das nicht unbedingt nur im positiven Sinne. Bin gespannt, ob es längerfristig etwas in mir auslöst.



Mara:
Ein Buch mit einer unglaublich beklemmenden Thematik hat Jesper Wung-Sung mit 'Opfer' geschrieben. Er greift dabei auf Hemingways Iceberg Theory zurück und verwendet einen nüchternen Schreibstil, der kaum mehr sec sein könnte, für seine Geschichte. Damit fordert er ziemlich direkt ein, dass wir als Leser_innenschaft uns Fragen stellen und uns in die ein wenig weit hergeholte Situation hineinversetzten. Überfordert Jesper Wung-Sung mit 'Opfer' seine jugendliche Zielgruppe - das habe ich mich beim Lesen oft gefragt, denn unweigerlich wird man irgendwie in unbekanntes Gewässer geworfen. Wenn man nach Gründen für das im Buch Geschehende sucht, verfällt man schnell in Erklärungsnot. Man wird, ähnlich wie bei Kafkas Novelle 'die Verwandlung' einfach in ein Szenario geworfen und muss sich damit abfinden, ohne Antworten auf 'Wieso, Weshalb, Warum?' auszukommen. Aber eigentlich braucht man die auch gar nicht. Denn Jesper Wung-Sungs Fragen, oder die, die er bezwecken möchten, sind viel tiefer und existenzieller. Kein einfaches Buch und sicher ist die Umsetzung nicht völlig klischeehaft, dafür aber mal was anderes.



untenrum frei | feministische Buchbesprechung

02 April 2017

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SEX. MACHT. SPASS. UND PROBLEME. Wie frei und gleichberechtigt sind wir? Warum fällt es uns leichter, übers Essen zu reden als über Sex? Haben wir die Fesseln der Unterdrückung längst gesprengt, oder haben wir nur gelernt, in ihnen shoppen zu gehen? In diesem Buch erzählt Margarete Stokowski von den kleinen schmutzigen Dingen, über die man lieber nicht redet, weil sie peinlich werden könnten. Und sie schreibt über die grossen Machtfragen, über die man lieber auch nicht redet, weil vieles so unveränderlich scheint. Es geht darum, wie die Freiheit im Kleinen mit der Freiheit im Grossen zusammenhängt, und am Ende wird deutlich: Es ist dieselbe. 

Margarete Stokowski Buch hat mich definitiv belehrt und mir ganz neue Einsichten in mein heutiges Denken gegeben. Seit ich ihr Buch gelesen habe, achte ich mich viel mehr auf Alltagssexismus und mein Bewusstsein hat sich allgemein einfach verschärft. Dinge, die klein erscheinen, es aber nicht sind. Zum Beispiel Pärchen Pullover von bekannten Youtubern Deutschlands auf denen steht: HIS Queen und THE King. Wieso gibt es solche sexistische Mode? Weshalb werden die Frauen immer als Besitzeigentum der Männer dargestellt? Ich stelle mir solche Fragen, genau auch wie Margarete Stokowski in ihrem Buch. Sie geht solchen Fragestellungen bis ins Detail nach und bespricht sie ganz genau. Ich finde es grossartig, wie sie es schafft zugleich kritisch, humorvoll und ernst zu bleiben. Eine Kombination, die einem das Buch leicht lesen lässt und es trotzdem nicht lächerlich wirken lässt. Schon im Vorwort konnte mich Stokowski mit ihrer lockeren Art, die Dinge zu beschreiben, überzeugen. Folgendes Zitat ist mir geblieben:



"Man wird aus diesem Buch auch nicht erfahren, ob ich mich beim Sex lieber im Bett oder auf dem Küchentisch befinde, aber man wird erfahren, dass ich weder das eine noch das andere für emanzipiert oder langweilig halte, sondern denke, dass die Qualität des Liebemachens auch davon abhängt, wer den Küchentisch am nächsten Morgen decken wird und wer die Bettwäsche wechselt."

Das Buch ist eine Sammlung von literarischen Essays aus verschieden Zeiten ihres Lebens. Am Anfang des Buches erzählt Margarete Stokowski von ihrer Kindheit, von kleinen Erlebnissen, die ihr geblieben sind und an die sie sich jetzt zurückerinnern möchte. Wie bereits erwähnt ist Alltagssexismus eines der grössten Themen, die mich auch immer wieder aufs Neue schockierten. Was die Bravo und anderer Zeitschriften für junge Mädchen bedeuten kann und was für schlechter Kontent sich darin befindet, war mir zwar bewusst, aber dass darin in diesem Masse Scheisse veröffentlicht wird, habe ich erst jetzt so richtig erkannt. Shame on me.

"Wir wissen aus dem Global Gender Gap Report 2015, dass es - wenn alles so weitergeht - bis ungefähr 2133 dauern wird, bis Männer und Frauen in der Arbeitswelt gleichgestellt sind."

Ich bin fünfzehn Jahre alt und habe das Gefühl, dass ich im Gegensatz zu anderen Mädchen in meinem Alter relativ viel über Sexismus und Feminismus weiss. In einem Grossteil des Buches schreibt die deutsche Autorin mit polnischen Wurzeln nämlich von ihrer Zeit als Fünfzehnjährige. Sie erzählt uns, was sie da vom Leben, von Sex und allem möglichen gedacht hat. Ich denke in vielen Punkten nicht gleich, ich habe mich wohl bereits mehr mit diesen Themen befasst als sie in meinem Alter und trotzdem lassen mich viele Punkte denken: Was? Ist das nicht so? Ich habe immer gedacht, dass das so ist...  Lauter Aha- Momente. Von daher kann ich auch ganz klar sagen, dass mich das Buch aufgeklärt hat, dass ich viel Neues gelernt habe und das obwohl ich wohl in dem Sinne nicht die Zielgruppe bin. Wahrscheinlich spricht Stokowski Frauen in ihrem Alter an und nicht unbedingt Jugendliche. Selbst wenn ich eben nicht unbedingt zu dieser Gruppe Menschen zugehöre, hat mir das Buch die Augen geöffnet, wenn nicht schon aufgerissen und mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt: Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Frau regelrecht zum Sexobjekt gemacht wird, zur derjenigen, die lockt wobei der Mann immer noch derjenige ist, der erhält - der Eroberer der Frau, ihr Besitzer. 



"Es stimmt aber nicht. Wir sind nicht umgeben von Sex, sondern von einem diffusen Versprechen von Sex - gerade so diffus, das es sich meist auflösen lässt in einen Zusammenhang von einerseits nackter Haut, vollen Lippen und langen Haaren und andererseits zu kaufenden Produkten oder zu konsumierenden Medien."

Ich habe mit dieser Lektüre so viel Neues erfahren, dass ich hier allen Dingen gar nicht gerecht werden kann, dafür müsste man das Buch schon selber lesen, was ich euch allen herzliche empfehlen mag. Wieso gibt es Ausdrücke wie Karrierefrau und kein entsprechendes Pendant für den Mann? Wieso nennen wir Kleinkinder des männlichen Geschlechts häufig der kleine Mann und sagen das nicht auch zu unseren kleinen Mädchen? Rollenbilder. Überall nur Rollenbilder. Es fängt schon vorgeburtlich an: An einer Stelle schreibt Stokowski, dass schon Väter Fussballspiele mit ihrem Sohn im Kopf durchgehen, sobald sie erfahren, dass sie einen Jungen zur Welt bringen. Ich möchte Frauen da nicht rausnehmen, ganz klischeehaft erhoffen sich wohl auch viele eine Shoppingtour mit ihrem Mädchen. Aber selbst hier zeigt sich ja: Mädchen und Frauen werden häufig auf ihr Aussehen reduziert, und reduzieren sich auch selbst darauf. Rollenbilder begegnen uns täglich und oft fällt es uns nicht einmal mehr auf, oder es fällt uns auf und wir finden es geradezu grausam, dass es solche Szenen überhaupt noch gibt. Ein Beispiel: Wieso werden Mädchen im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren an einem Tanzwettbewerb entweder Wäsche aufhenkend oder Po wackelnd auf der Bühne gesehen?



"Frauen unterschätzen sich und werden unterschätzt, immer noch. Sogar Stürme mit Frauennamen werden unterschätzt: Hurrikane mit Frauennamen töten mehr Menschen als solche mit Männernamen, weil Leute sich vor ihnen seltener in Sicherheit bringen."

So schonungslos wie sie schreibt lässt sie einem mit einfachen Fakten die Kinnlade herunterklappen. Sie hat mich hinterfragen gelernt und mir mein Bewusstsein massiv verschärft. Margarete Stokowski schreibt von Freiheit und möchte uns eigentlich vor allem eine entscheidende Mitteilung auf den Weg geben: Tut alles, was ihr tut freiwillig und seid euch bewusst, was ihr denn dabei macht. Sie betont mehrmals, dass es sehr wohl auch Menschen - Frauen sowie Männer gibt, die gerne ihre traditionellen Rollenbilder denken und diese auch ausleben möchten. So lange sie das wollen, ist das auch völlig in Ordnung. Trotzdem soll man nicht alles zur Kenntnis nehmen, man soll nachhaken, hinterfragen, offen sein, ja man soll anders sein. Dabei zitiert sie vor dem sechsten Kapitel ihres Buches auch Wonder Woman, die sagt, dass jetzt, also immer, ein guter Zeitpunkt ist, geschlossene Türen zu öffnen und zu hinterfragen. Stokowski macht mir nämlich auch klar, dass ich zu schlecht aufgeklärt bin, dass wir alle zu wenig wissen und uns deshalb bilden und informieren müssen. Ich empfehle dieses Buch aus tiefstem Herzen, weil ich finde, dass es extrem wichtige Bilder und  Werte vermittelt, die verbreitet werden sollten. Ich könnte noch Stunden lang auf jeden von Stokowski erwähnten Aspekt eingehen, das Buch regt nämlich extrem zum Nachdenken an, aber das würde einfach viel zu lange dauern. Ich habe schon jetzt das Bedürfnis dieses Buch erneut zu lesen, ich habe schon wieder so viel vergessen und möchte noch so viel weiter lernen.


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