anleitung für eine revolution | feministische buchbesprechung

01 März 2017

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Der Mensch ist ein Wesen, das sich ständig irrt und niemals perfekt ist. Es such nach Weisheit und kann sie nicht besitzen; deshalb ist die Philosophie entstanden, und deshalb ist der Philosoph jemand, der die Weisheit liebt und nach ihr strebt, sie aber niemals besitzt. Das ist es, was ihn zum Handeln, zum Denken und Leben zwingt.

"Anleitung für eine Revolution" ist ein literarisches Experiment. Nadja Tolokonnikowa spricht und schreibt aus und mit viel Erfahrung von politischem und feministischem Aktivismus und bedient sich verschiedener schriftstellerischer Elemente, die gemeinsam ihr Debut komplettieren. Sie gibt Ratschläge und erzählt von Projekt, von der Planung bis zur Umsetzung, sie gibt wieder, was sie während zwei Jahren Haft erlebt und was sie bisher in ihrem Leben gelernt hat. Sie gibt Zitate von ihr selbst, aus ihren zahlreichen Reden und Erklärungen zum Beispiel, von politischen Mitstreiter_innen und Mitkämpfer_innen genauso wie solche von der russischen Regierung wieder, die uns den Kopf schütteln und den Aktivismus von Pussy Riot und die spezifische Situation in Russland besser nachvollziehen und verstehen lassen.


Obwohl die Erfahrung des Eingesperrtseins keine einfache ist, werden wir, die politisch Gefangenen, dadurch nur noch stärker, mutiger und hartnäckiger. Und so stelle ich die Frage: Was für einen Sinn hat es dann, uns festzuhalten? (26. April 2013)

Bis hierher würde mir das Buch auch gefallen - nein, anders; das Buch gefällt mir.
Allerdings gibt es da noch viel hinzuzufügen. Denn das Buch war auch ganz anders, als ich es erwartet habe - bei Weitem nicht so intellektuell nämlich, darauf musste ich mich ein bisschen einstellen. Aber dann konnte ich die Umgangssprache gut ab und empfand sie nicht mehr unbedingt als störend, sondern schlicht und einfach als Besonderheit des Buches und des Schreibstils von Tolokonnikowa - sie war ja keine wirkliche Schriftstellerin und ist es auch nach Fertigstellen und Veröffentlichen des Buches meiner Meinung nach nicht, aber das ist nicht weiter schlimm, denn Bücher von 'wirklichen Schriftsteller_innen' lese ich sonst schon genug und das macht sie auch nicht immer besser. Und um ehrlich zu sein - Tolokonnikowa ist anderes als eine Schriftstellerin, sie hat die zu heutigen Zeiten bedeutendste feministische Punkband und wichtigste aktive Gruppierung in Russland mitbegründet.


Wir sprechen in auswendig gelernten Phrasen. Ich genauso wie Du. [...] Weil die Sprache uns nicht gehört. Wir erlenen sie. Sie ist nicht unsere eigene.

Bisher habe ich mich aber nur begrenzt mit russischer Kunst auseinandergesetzt und dann kommt alles plötzlich auf einmal - zum Beispiel Fashion aus Russland (siehe Gosha Rubchinsky), die stark an der Streetszene und -Kultur des europäischen Landes orientiert ist. Es gibt Pussy Riot und, um nur einen zu nennen, Slavoj Zizek, der politisch dringliche Bücher schreibt und sich einen Namen gemacht hat. Zugegeben, die russische Avantgarde und den Suprematismus gab es schon seit längerem, letzteres entstand sogar in Russland. Und ausserdem habe ich im Pariser Centre Pompidou vor Kurzem 'Kollektsia!' gesehen, eine der Ausstellungen, die mich bisher in meinem ganzen Leben am meisten mitgenommen und fasziniert hat. Es geht um Kunst unter Stalin und die vielen verschiedenen Werke waren politisch und radikal, provokant und dabei verdammt kreativ.


Man kann alles aushalten. Nach meiner Freilassung werde ich eine politische Richtung einschlagen - sie wird mit Kunst verbunden sein, so wie früher. Ich bin jetzt reicher an Erfahrung, dafür möchte ich Putin danken. (20. März 2013)
Genauso wie dieses Buch, aus 200 Schritten, Regeln oder einfach Gedanken- und Manifestansätzen für eine Revolution. Es ist anders, und das sage ich ohne Wertung. Es wird nicht allen gefallen, und das sage ich voller Überzeugung. Aber mir hat es gefallen, und ja, das sage ich, einfach so. Weil ich's kann und weil es manchmal so einfach ist, wenn man so viel Inspiration aus einem Buch ziehen kann.

Und obwohl wir physisch eingesperrt sind, sind wir freier als all die Menschen, die uns gegenüber auf der Seite der Anklage sitzen. Wir können alles sagen, was wir wollen.


2 Kommentare
  1. Das Buch hört sich meiner Meinung nach total interessant an. Anschauen werde ich es mir auf jeden Fall mal, bin gespannt :)

    Liebe Grüße, Julia ☾ | www.serendipityblog.de

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    1. Wenn Dich das Thema interessiert und Du Dich darauf einstellst, dass es nicht ganz intellektuell ist, könnte es Dir sicher gefallen!

      Liebe Grüsse!

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