das mädchen mit dem fingerhut

28 Mai 2016

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Ein Mädchen, das alles verloren hat und eine neue Heimat sucht. Eines von drei Kindern in einer Welt, die nichts von ihnen wissen will. Michael Köhlmeier hat ein starkes, unvergessliches Buch über unsere ganz reale Gegenwart geschrieben. 
Irgendwo in einer grossen Stadt in Westeuropa. Auf dem Markt steht plötzlich ein kleines Kind. Man gibt dem Mädchen zu essen, zu trinken. Sie versteht kein Wort der Sprache, die man hier spricht Doch wenn jemand 'Polizei' sagt, dann beginnt sie zu schreien. Woher sie kommt? Warum sie hier ist? Wie sie heisst? Sie weiss es nicht. Yiza, sagt sie, also heisst sie von nun an Yiza. Als Yiza zwei Jungen trifft, die genauso alleine sind wie sie, tut sie sich mit ihnen zusammen. 
Michael Köhlmeier erzählt eine Geschichte von Menschen ohne Herkunft - ein Roman, dessen Faszination man sich nicht entziehen kann.

Natürlich ist das grösste Thema momentan 'Flüchtlinge und Flucht'. Da geht mir eine Angelegenheit besonders nah ans Herz - unbegleitete Minderjährige Asylsuchende, auch kurz UMA. Michael Köhlmeier behandelt genau dieses Thema in diesem Roman. Jedoch ohne Worte wie 'Flucht' ins Mund zu nehmen - zu Papier zu bringen also. Überhaupt sind wenige Worte versammelt, in wenigen kurzen Sätzen. Wenig, wie die Anzahl an Seiten.


Und, ganz ehrlich, auch sonst. Die Sprache ist karg und auf den Inhalt fokussieret. Sie gebührt ihm einen unvergesslichen Auftritt. Wir als Leserinnen und Leser lernen die Charaktere gerne kennen. Wir mögen es bestimmt alle, mit ihnen eine besondere, spezielle, am liebsten enge Verbindung einzugehen. Köhlmeier weiss dies, und setzt es phänomenal um. Wir lernen Menschen nicht kennen, wenn wir ihre Namen wissen. Sondern wenn wir mitbekommen, wie sie sich verhalten. Es ist eine echte Begegnung, oder eher Beobachtung, dieses Buch. Ich meinte, Michael Köhlmeier begegnete dieser Dreiergruppe an verlorenen Seelen und dachte sich ihre Geschichte aus. Zu dritt werden sie nicht wirklich betrachtet, alleine würden sie viel mehr Aufsehen erregen. Doch zuerst war das Mädchen mit dem Fingerhut alleine, sogar ohne den Fingerhut. Zuerst war nur sie da, und die Stadt. Die grosse, fremde Stadt im Westen Europas. Aber das ist ganz egal - ja, in dem Roman spielen Förmlichkeiten keine Rolle. Die Augen eines Kindes, die Gefühle eines Kindes, die Gedanken eines Kindes mögen vielleicht naiv, aber immer zutiefst wahrheitsgetreu sein.


Und so schreibt Michael Köhlmeier eindringlich sein Buch, das die Wahrheit selbst ist. Es ist die Wahrheit, ein Alltag, ein Leben vieler, vieler Menschen heutzutags. Sie sind so klein und so verletzlich, dass wir sie übersehen. Der Autor wirkt dagegen an, indem er ihre Geschichte erzählt. Und erst dadurch realisieren wir, dass diese Geschichten, diese Menschen und Menschen allgemein, egal wie gut wir sie kennen, die verschiedensten Emotionen ins uns hervorrufen können. Ich bin zutiefst beeindruckt von diesem Werk und danke Michael Köhlmeier dafür von ganzem Herzen.

Hanser / 145 Seiten / Gebunden mit Schutzumschlag / Original Deutsch / 18.90 Euro [D]

2 Kommentare
  1. Oh Mara, eine wunderbare Rezension!
    Ich kannte das Buch bislang noch gar nicht, aber ich werde jetzt definitiv mal danach Ausschau halten, es klingt wirklich beeindruckend.

    Liebe Grüße
    Chrisi

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    1. Danke, liebe Chrisi, das freut mich sehr!

      Beeindruckend ist es auch, aber noch viel mehr - ich wünsche Dir viel Spass damit, ich kann mir gut vorstellen, dass es Dir gefällt.

      Herzlichst,
      Mara

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