ein ganz kleines glück | rezension

07 November 2015

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Fröhlich und ein wenig chaotisch lebt die junge Camille als freie Journalistin in Paris, verbringt Stunden mit ihren Freundinnen in den Cafés der Grossstadt, und nichts zählt mehr als der Augenblick. Bis sie eines Tages feststellen muss, dass sie schwanger ist - von einem Mann, der sofort aus ihrem Leben verschwindet, als er von der Neuigkeit erfährt.  Für Camille beginnen Wochen voller Zweifel: Ist sie der Verantwortung gewachsen, allein ein Kind grosszuziehen? Welche Richtung will sie ihrem Leben geben, das doch gerade erst so richtig angefangen hat? Natürlich mischen sich Eltern, Freunde, Kollegen mit guten oder weniger guten Ratschlägen ein, allein Camilles Grossmutter sieht in der ungewollten Schwangerschaft vor allem ein unverhofftes Glück. Ein kluger und erfrischender Roman über die schwankenden Gefühle und Launen, die Ängste und Hoffnungen einer jungen Frau, die gewissermassen vor unseren Augen Mutter wird.

Ein ganz kleines Glück von Camille Anseaume

Verlag: List • Seiten: 220 Seiten • Fassung: Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag • Original: Un tout petit rien, Französisch • Übersetzerin: Maja Ueberle-Pfaff • Preis: 16 Euro [D]

"Jede Frau schildert gern in aller Ausführlichkeit den Moment, in dem sie erfahren hat, dass sie Mutter wird."

Camille Aneseaumes kleines, schön gestaltetes Büchlein lächelte mich im Buchladen an. Ich las den Hintergrund und verliebte mich in die Idee, einer jungen, freien Journalistin in der aufregenden Grossstadt Paris durchs Leben zu folgen, stundenlang Cafés abzuklappern und Inspiration suchen, ihr Leben mitzubekommen.  Allerdings ist das anders, ziemlich anders, und das wird ab dem ersten Satz klar. Von diesem Leben ist nämlich nur noch ein Hauch anwesend, ein kleines bisschen, eine Sehnsucht. Denn plötzlich ändert sich alles, denn Camille erwartet ein Kind. Ein Baby. Aber vielleicht will sie es auch gar nicht, vielleicht doch, so oder so wird danach nichts mehr sein, wie es ist, und diese Entscheidung ist bei Weitem die Schwerste, die ihr wohl je gestellt wird. Sie erlebt drei Monate voller Zögern, voller Angst vor der falschen Wahl und lernt sich dabei besser kennen, den Mann, den sie nicht mal geliebt hat und der nicht mehr da ist, dessen Charakter lernt sie ebenfalls besser kennen. Nur von ihrer Zukunft hat sie noch keine Ahnung. Aber sie darf sie selbst aussuchen, darf eine Wahl treffen und ihr Leben so leben, wie sie es möchte.

Aber nicht nur in dem Sinn habe ich mir in dem Buch etwas anderes vorgestellt.  Denn anstatt Situationen beschreiben, ist es eine Dokumentation der schönsten Gedanken von Camille in dieser Zeit, Momentaufnahmen an feste Gefühle gebunden, die mich jedes einzelne Mal mehr und mehr in ihren Bann zogen. Klar, manchmal waren ihre Gedanken roh und unausgereift, manchmal jedoch schreib die Autorin die klarsten und wunderbarsten Zeilen nieder. Das Buch spielt im Kopf von Camille, der Protagonistin, die gleich wie die Autorin heisst. Nicht nur das ist ein Indiz dafür, dass die Geschichte echt sein könnte, noch dazu ist es so realistisch und authentisch geschrieben, dass man sich gleich bestätigt fühlt. 

Ich habe Bücher über Teenieschwangerschaften gelesen, und keines davon konnte eine solch wichtige Zeit im Leben so schön und wichtig erzählen wir Camille Aneseaume. Ich glaube, ich würde  ihr alles abnehmen. Manchmal geht es darum, wie grausam die Situation eigentlich ist, wenn man nicht weiss, ob man das Kind behalten möchte, oder es... 'verwerfen' möchte, die Schwangerschaft abbrechen und die ganzen Gedanken und Gefühle, ein ganzes, kleines Leben, das noch gar nicht begonnen hat, tief in  sich vergraben möchte. Ich bin definitiv dafür, dass Frauen abtreiben dürfen. Aber dennoch bin ich mir sicher, dass es das Schrecklichste sein muss, vor einer solchen Entscheidung zu stehen. Und auch Camille findet es ganz schrecklich, manchmal schwankt sie für Tage nur durch ihr Leben, ohne etwas wahrzunehmen. Und dann gibt es da diese Glücksmomente, und dieser extreme Wechsel nimmt man ihr ohne Weiteres ab. Denn auch  die Glücksmomente stecken die Leserin bestimmt in Nullkommanix an. 


Der Schreibstil hat mir den Rest gegeben. Camille erzählt so fantasievoll und doch  auch so bedrückt, und manchmal so schweigend. Ich glaube, man weiss erst, was ich meine, wenn man eigens Zeuge ihrer Worte wird, ihrer treffenden Vergleiche und ihrer Seiten, die man alle gleichermassen anstreichen und nicht mehr vergessen möchte. Nach dem Lesen hatte ich das Gefühl, dass ich gerne gleich wieder von vorne beginnen möchte.

Camille sieht Schwierigkeiten auf sie zukommen. Und sie denkt nicht ans Glück oder ans Positive, bei ihr ist das Glas immer halb leer. Aber das ist gut so. Anders als bei vielen Charaktereigenschaften befürchte ich nämlich, dass ein zu positiver Mensch schnell unglaublich naiv wirken kann in Büchern. Im echten Leben mag das manchmal ganz aufheiternd sein. Trotzdem ist Camille gewappnet, um in den echten Situationen dann völlig hilflos zu sein. Ich  wurde nicht richtig schlau aus ihr, aber das ist gut so, denn auch wenn sie vielleicht nicht ganz zu greifen war, liebte ich es, von und mit ihr zu lesen  und leben, für ein wenig, zumindest. Denn Camille hat mich inspiriert, und ich  glaube, sie kann auch viele andere Leser überzeugen. Und dabei ist es ziemlich egal, in welcher Lebenslage man gerade steckt, vor welchen Problemen man  steht. Das Buch regt mich an, meine Gedanke auf eine andere Weise zu hinterfragen.  Man taucht mit Camille in ein riesiges Abenteuer, in dem es vielleicht oberflächlich um jemand anderen geht, aber eigentlich lernt sie sich dann erst kennen und weiss, was sie in ihrem Leben möchte. 

Camille Aneseaume ist freie Journalistin und schreibt regelmässig Kolumnen für verschiedene Frauenmagazine, in denen sie humorvoll Beziehungsgeflechte aller Art unter die Lupe nimmt. Ihr Blog Café des Filles wurde zum Lieblingsblog der ELLE-Redaktion gekürt. Ein ganz kleines Glück ist ihr erster Roman.
4 Kommentare
  1. Hallo Mara,

    eine wundervolle Rezension, bei dir man sofort merkt, wie sehr sich dieses Buch verzaubert hat. Ich danke dir für für schönen Zeilen, denn ohne dich wäre ich vermutlich nie auf diesen Roman aufmerksam geworden und werde mir die französische Originalausgabe mal näher anschauen.

    Viele Grüße,
    Bianca

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    1. Liebe Bianca,

      herzlichen Dank für deine lieben Worte! Ich hoffe, ich konnte dir den Roman genug schmackhaft machen, dass du das Buch liest und ebenfalls verzaubert wirst. In der Originalfassung ist es bestimmt auch noch ein ganz anderes, intensiveres Erlebnis!

      Herzlichst,
      Mara

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  2. Liebe Mara,

    was für eine schöne Rezension. Ich schließe mich Bianca an - man merkt, wie sehr das Buch dich berührt hat. Das klingt auch nach einem Buch für mich. Vielen Dank für den Buchtipp!

    Liebe Grüße und einen schönen Sonntag
    Jacy

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    1. Liebe Jacy,
      vielen lieben Dank! Ich freue mich sehr, von dir zu hören, ob dich die Gedanken von Camille genauso tief bewegen.
      Allerliebst,
      Mara

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