Ein ganz besonderes Jahr von Thomas Montasser

22 November 2015

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Eine kleine Buchhandlung. Eine riesige Aufgabe. Und ein geheimnisvolle Buch, das alles verändert...
Als die Betriebswirtin Valerie die etwas aus der Zeit gefallene Buchhandlung ihrer spurlos verschwundenen Tante betritt, gedenkt sie möglichst rasch Ordnung in das Chaos zu bringen und den Laden aufzulösen. Doch  sie hat die Macht der Bücher und die Magie der kleinen Buchhandlung mit dem Samowar unterschätzt. Denn plötzlich erlebt sie jeden Tag eine neue Überraschung, Welten tun sich auf. Eines Tages stösst sie auf ein merkwürdiges Buch, das nicht zu Ende geschrieben ist und das Valerie für einen Fehldruck hält, Dann betritt ein Kunde ihre Buchhandlung, der genau dieses Buch schon lange sucht... 

Verlag: Thiele Verlag • Seiten: 200 Seiten • Fassung: Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag • Preis: ca. 16 Euro [D]

"Hätte jemand durch das Fenster geblickt, er hätte kaum mehr gesehen als den gebeugten Rücken einer mit grosser Sorgfalt gekleideten älteren Dame, deren schneeweisser, etwas wirrer Dutt über der Kasse schwebte, von einer müden Deckenlampe in ein gnädiges Licht gehüllt."

So begann das Buch, so ging es weiter, so war es die ganze Zeit über. In den Vordergrund trat der mir etwas fremde Schreibstil, den ich zuerst als gespickt mit unwichtigen Details empfand, welche nicht bevorzugterweise die Atmosphäre unterstützten, sondern einfach da waren. Und doch fand ich  dann irgendwann meinen persönlichen Zugang zur Sprache, dachte erst, diese hätte sich entwickelt und verändert über die Seiten, bis ich bemerkt habe, dass ich mich einfach an den etwas  gehoberen, manchmal doch hochgestochenen Schreibstil gewöhnt habe.


Das Buch hatte ein wenig eine komische Stimmung. Die auktoriale Erzählsituation war stark zu spüren, der Erzähler wusste so vieles und informierte dich direkt, verbesserte sich. Für mich definitiv was Neues, die Anwesenheit des Erzählers auf dieser Ebene ständig zu spüren, ich habe ihn differenziert wahrgenommen. Und ich konnte das erste Mal den Erzähler völlig von der Protagonistin trennen und sie unterscheiden, etwas, mit dem ich manchmal ein wenig Mühe habe. Doch Valerie lernte ich schnell kennen  und doch nie so richtig.

Valerie schreitet zu Anfang in die verstaubte und doch mit sehr viel Liebe von ihrer verschwunden Tante geführten Buchhandlung. Sie sieht ihre Aufgabe darin, den Laden aufzugeben, doch das ihr nicht gewöhnte, altmodische System mit der Abwesenheit einer digitalen Aufzeichnung und überhaupt einem Computer, war ihr so fremd, dass sie daran schnell scheiterte und dann begann, einfach Tage in der Buchhandlung zu verbringen, Freundschaften zu schliessen und ihre Liebe zu Büchern wieder- und vor allem neu zu entdecken.


Und genau diese Liebe wird geschildert, und Valerie verhält sich anders mit den Büchern. Sie liest nicht immer, ständig, sondern sie setzt sich an die Sonne und verliert sich in einem Buch. Es ist dieses am Stück lesen, welches mich so fasziniert hatte, das Lesen an sich selbst. Diese sinnlichen Momente werden in einer völlig neuen, ansteckenden Ausführlichkeit geschildert. 

Und während dem ganzen Buch verstärkert sich die Sehnsucht nach einem solchen Erleben von Büchern in fremden, fernen Fantasiewelten. Bis man merkt, dass man sich selbst gerade in einem Buch verloren hat, daraus auftaucht mit einem Glücksgefühl und einer noch stärker entfachten Liebe zum geschrieben Wort. So ging es mir mit dem Buch, und ich glaube, wenn ein Buch die Liebe zu Büchern, zu Buchhandlungen allgemein noch verstärkt, dann muss es ein ganz besonderes Buch sein.


Und ganz besonders, ja, das ist dieses ganz besondere Jahr natürlich, wer hätte es gedacht! Und zwar, indem der Schreibstil völlig unterwartet ist, wie auch so manch anderes, das passiert und geschildert wird. Und doch ist es teilweise ein bisschen voraussehbar, aber mit einem grossen positiven Aspekt, denn es ist so gewollt vom Autor, ohne dass man diesen Willen stark spürt; er wird einem nur danach klar. 

Die Fremdcharakterisierung von Valerie bleibt ein bisschen skizziert, geht nicht zu sehr ins Detail und  verrät keine seltenen Geheimnisse oder Angewohnheiten von Valerie, sondern erfasst sie als Person eigentlich nur, wenn sie sich im Buchladen aufhält. Aber das zeigt eine gewisse Seite von ihr, und vielleicht wird auch nicht mehr gebraucht, vielleicht muss sie nicht vollständig erfasst werden, denn wie kann man eine Person schon in einem Buch erfassen? Das Buch erzählt ausschweifend vom Buchladen, Räumlichkeiten, die sich schemenhaft vor meinen inneren Augen bilden, von eigenwilligen Nebencharakteren, die man auf Anhieb ins Herz schliesst und von Tierchen, einer Teemaschine und so ziemlich viel weiterem, die man mit dem Buch verbindet. Es ist ein Buch, das von kleinen Dingen lebt, eben erwähnten, und von Erwähnungen von tausenden anderen Bücher, die einem in einer ganz besonderen Empfehlung ans Herz gelegt wurden. Es lebt von Briefen von Menschen, die in einem Buch in einer Buchhandlung Glück auf eine andere Weise fanden und von der Mitteilung, dass wir Buchhandlungen unterstützen müssen, indem wir sie in vollen Zügen geniessen, wie auch im Buch.

"Und so entwickelte die Buchhandlung - wie ein Kind, das gross wird und sich von den Eltern abnabelt und einen eigenen Charakter ausprägt - ihre originäre Persönlichkeit: unvorhersehbar, eigenwillig und voller Überraschungen." 

Thomas Montasser arbeitete als Journalist und Universitäts-Dozent und war Leiter einer kleinen Theatertruppe. Er schrieb grosse Epochenromane (Die verbotenen Gärten), unter dem Pseudonym Fortunato auch Kinderbücher (Zauber der Wünsche). Als Vater von drei Kindern lebt er mit seiner Familie in München. Er ist Literaturagent und kennt nichts Schöneres, als in kleinen Buchhandlungen zu stöbern. Mit Ein ganze besonderes Jahr hat er sich seinen Traum erfüllt, endlich ein Buch über die Macht der Geschichten und über ihren Zauber zu schreiben.

3 Kommentare
  1. Wow, vielen Dank für die Rezi, die mir richtig Lust auf das Buch gemacht hat. Habs gleich notiert. Oh weh, meine Liste wird immer länger und länger.
    liebe Grüße
    Sandra von Sandras kreative Lesezeit

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    1. Liebe Sandra,
      sehr sehr gerne, ich freue mich, dass dich das Buch anspricht, ich fand es nämlich sehrsehr toll!
      Ich kenne das... Teuer, aber hat natürlich überwiegend positive Seiten! :D

      Alles Liebe!
      Mara

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  2. Eine wirklich tolle Rezi, das Buch ist bereits auf meiner Wunschliste.

    LG Piglet ♥

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