du neben mir | rezension

20 Oktober 2015

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Wenn ihr Leben ein Buch wäre, sagt Madeline, würde sich beim Rückwärtslesen nichts ändern: Heute ist genau wie gestern und morgen wird sein wie heute. Denn Madeline hat einen seltenen Immundefekt und hat ihr Leben lang nicht das Haus verlassen. Doch dann zieht nebenan ein Junge ein - geheimnisvoll, anziehend und mit Augen so blau wie der Ozean.
Und Madeline weiss plötzlich, sie will alles: das ganze grosse, echte, pulsierende Leben -und sei es nur für einen Tag! Und sie ist bereit, dafür alles zu riskieren.

Du neben mir von Nicola Yoon

Genre: Contemporary • Verlag: Oetinger • Seiten: 340 Seiten • Fassung: Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag • Original: Everything, Everything, Englisch • Übersetzerin: Simone Wiemken • Preis: 16,99 Euro [D]


"Ich habe viel mehr Bücher gelesen als du."

Madeline ähnelt mir. Sie liest viel, denkt ständig nach (okay, wer nicht, das ist ein sitzendes Argument. Aber Madeline denkt über das Leben nach.) und notiert ununterbrochen etwas in ihre Notizbücher. Ein entscheidender Punkt jedoch unterscheidet uns. Die Reiselust und Entdeckungsneugier, die wir ebenfalls teilen, kann oder könnte ich jeden Tag ausleben. Madeline aber, an einer seltsamen Allergie erkrankt, ist tagtäglich in ihrem Haus gefangen, darf dieses nicht verlassen. Und keinen Besuch empfangen.

Als im Haus nebenan eine neue Familie einzieht, ist das ein riesen Abenteuer, fast schon eine Sensation, die Madeline nicht loslässt. Sie beobachtet und reflektiert die vier Personen; ihr Leben, ihre Angewohnheiten, ihr Alltag, der sich so sehr dem Madelines unterscheidet.


Sich in eine solche Situation reinzuversetzen ist schier unmöglich. Zum einen für mich als Leserin und wohl zum anderen auch für die Autorin - jedenfalls gab es Momente und Szenarios, welche meiner Meinung nach anders verlaufen wären. Die Bemühung Nicola Yoons, dieses Leben 'realistisch' erscheinen zu lassen, lässt sich deutlich an den vielen Illustrationen erkennen, einer Freizeitbeschäftigung von Madeline. Die zahlreichen Abbildung von niedergeschriebenen Gedanken und Zitaten, Mail- und Chatkonversationen machen das Buch zu schnellem Lesevergnügen, einer erfreulichen Abwechsung und verleihen dem ernsten Thema eine gewisse, fast schon nötige Leichtigkeit für den Verlauf.

Denn, wie abzusehen war, beschäftigt sie eines der Familienmitglieder sehr. Olly, im selben Alter wie Madeline, welcher sehr viel Nutzen von der für ihn verfügbaren Freiheit macht. Einer der vielen Gründe, weshalb Madeline beginnt, sich in diese fremde Person zu verlieben. Schnell finden die beiden einige Wege, um miteinander zu kommunizieren. Und da Olly selbst auch nicht das einfachste Leben führt, ist auch der Stoff für die Gespräche geliefert.Aber nicht zu vergessen ist, dass Madeline nicht auus dem Haus kann und Olly nicht einfach zu ihr rüberspazieren kann. Madelines Krankheit steht zwischen  einer wunderschönen, wenn auch ziemlich kitschigen Liebesgeschichte.

Durch Madelines beschränkte Möglichkeit, ihre Freizeit zu gestalten, schleicht sich mit der Zeit ein gewisser Rhythmus ein, der im echten Leben beruhigend und wichtig ist, im Buch aber eher langweilig.

Am meisten enttäuscht hat mich jedoch, dass sich mein Verdacht gegen Ende des Buches bestätigt hat. So  gerne ich manchmal Recht behalte, mag ich in Büchern zumindest beim Pot immer überrascht und eines Besseren belehrt zu werden. Der Twist in Du neben mir hat mich also ziemlich kaltgelassen.


Eins möchte ich noch klarstellen; Ich mag Bücher, die ohne viel Aufregung, abseits von überfüllten, grossen Handlungen von der Bühne gehen und allein reich an Gedankengängen sind. Die jahrelaange Einsamkeit führt meiner Meinung nach meistens zum Verrücktwerden. Der Schilderung der Autorin nach im Falle  Madelines aber nicht -sondern zu vielen üppigen Gedanken. Nur erkannte ich  die nicht so wirklich in Madelines Monologen, sondern bin der Überzeugung, dass ich in vielen anderen Büchern genauso, wenn nicht noch tiefere Gedanken gelesen habe. Klar bildet der Charakter die Grundlage, aber ich würde schon meinen, dass sich eine Jugendliche, die seit dem ersten halben Lebensjahr eingesperrt ist, von einer ganz normalen Jugendlichen unterscheidet. Das Madeline bisher ein ganz anderes Leben als alle anderen geführt hat, machen  die Umstände klar, Madelines Figur selbst aber nicht so wirklich, was ich schade finde. Hier lag wohl die Chance, aus dem Buch etwas ganz aussergewöhnliches zu machen. Wobei der typische Verlauf und all die bedienten Klischees nicht wirklich zugeholfen hätten.

Abgesehen von diesen Kritikpunkten muss ich sagen, dass mich der Schreibstil nicht wirklich gefesselt hat, bis auf eine Seite habe ich nie ein Zitat markiert. Viele fanden an dem Buch Gefallen, ich wurde jedoch herb enttäuscht, da ich nicht das Gefühl hatte, Zeuge einer besonderen Liebesgeschichte zu werden, sondern bloss Charaktere, wie es schon x andere gibt, eine Beziehung, wie wir schon von vielen gelesen haben. 

Das Meer ist das Meisterwerk der Mutter Natur - faszinierend, wunderschön, unpersönlich, mörderisch. Denk doch  nur: So viel Wasser und du kannst trotzdem vor Durst sterben. Und der einzige Zweck der Wellen ist es,  dir die Beine wegzureissen, damit du schneller ertrinkst. Das Meer verschlingt dich mit Haut und Haaren, spuckt dich wieder aus und merkt nicht einmal, dass du überhaupt da warst.
Seite 86

Diese Stelle hat mich beim ersten Lesen fasziniert, weil ich mir selbst viele Gedanken über das Meer mache, welches heutzutage vor allem Reiseweg hunderttausenden Flüchtlingen ist. So viel erhoffen sie sich, und wenn das Meer noch nicht gemordet hat, dann werden sie vielleicht bei uns ankommen und trotzdem enttäuscht werden. Beim zweiten Lesen erschien mir die Stelle schon weniger schmackhaft und hat mich nicht mehr berührt, einfach weil dieser andere Aspekt zu stark und zu wahr ist, um von solchen Gedanken überwogen zu werden.

Kurzweiligen Lesespass hatte ich und die aufwändige Aufmachung ist auch eine zu lobende Besonderheit des Buches. Trotz der ungewöhnlichen Ausgangslage wurde etwas geschaffen, was doch sehr stereotyp und voraussehbar ist, das Potential der Idee wurde nicht so ausgeschöpft und genutzt, wie es genutzt hätte werden können, was ich  sehr schade finde. Aber definitiv fand ich das Buch zu konstruiert, es wirkte nicht natürlich oder echt. Ein toller Ansatz, der verspielt wurde, vielleicht zu oft überarbeitet, ich  weiss es nicht. Aber beim Lesen fand ich nichts roh und lebendig vor, was man vielleicht auch nicht erwarten kann. Doch auch die Liebesgeschichte war ungewichtig und hat mir nicht wirklich ein Lächeln aus Gesicht gezaubert, was normalerweise schnell passiert, da die Liebe mich in all ihrem Ausmass meistens doch sehr berührt.

Nicola Yoon, geboren 1972, ist auf Jamaica und in Brooklyn gross geworden. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann, der das Artwork für Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt gestaltet hat, und der gemeinsamen Tochter in Los Angeles. Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt ist ihr literarisches Debüt.
4 Kommentare
  1. Hei c:

    Seit langem mal wieder eine sehr ehrliche Rezension, die ich gelesen habe. Ich bewundere dich dafür, dass du es schaffst, so frei raus zu sagen was du denkst. Und obwohl du eigentlich was schlechtes sagst, klingt es nett. Falls ich irgendwann (in ferner Zukunt) mal ein Buch schreiben sollte, liest du das dann für mich und sagst mir, was du darüber denkst? Deine Rezi hat mich nachdenklich gemacht. Ein Mädchen, das so lange alleine für sich zuhause ist, muss doch nachdenkn. Über das Leben. Oder? Ich kenne ein Mächen, das mal Krebs hatte und überhaupt nicht nachdenklich ist und nur Mist redet. Ich frage mich so oft: Wenn der Tod so nahe ist, warum denkt man dann nicht nach? Ist man dann zu ängstlich um nachzudenken?

    Ganz viele liebe Grüße, Michelle ☼♥
    walkingaboutrainbows.blogspot.de

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    1. Liebste Michelle,

      vielen Dank für deinen wunderschönen Kommentar, deine Worte bedeuten mir wirklich viel. Ich schaffe es leider selbst nicht immer, so frei zu sprechen und zu sagen, was ich denke, weil mich das Buch manchmal blockt, aber in letzter Zeit versuche ich mir so viel Mühe zu geben für eine Rezension, vielleicht auch mehrere zu schreiben, bis es sich wirklich nach meinen ehrlichen Gedanken anhört. Sehr gerne würde ich dein Buch dann lesen! Ich selbst überlege auch immer wieder, zu Schreiben, hab das auch schon öfters gemacht und ein Projekt gestartet, aber mir mangelt es traurigerweise ein wenig an Disziplin, und ich weiss auch nicht, wie ich selber mein Geschreibsel überarbeiten sollte.
      Ja, das mit den Gedanken... Ich denke schon so viel nach, aber vielleicht stimmt ja, was du sagst, dass man dann zu ängstlich ist, nachzudenken, kann noch sein...

      Nur die liebsten Grüsse zurück,
      Mara

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  2. Hi Mara! Ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen und mag deinen Blog und lese deine Rezensionen sehr gerne aus genau diesen Gründen. Du bist sehr ehrlich und kritisierst -natürlich in angemessenen Äußerungen - klipp und klar und ehrlich. Diese wirklich 'ehrlichen' Rezensionen werden meiner Meinung nach immer seltener und ich habe das Gefühl, dass sogar kleinere Buchblogger und das unter anderem speziell wenns um Rezensionsexemplare geht, extrem unkritisch an ihre Rezensionen rangehen und die Rezensionen bloß aus Lobeshymnen und 'Honigumsmaulschmierereien' bestehen. Natürlich hat jeder einen anderen Geschmack und Bücher, die mir nicht unbedingt zusagen, können anderen Lesern gefallen, aber wenn der gesamte Block ausschließlich auch extrem positiven Rezensionen und Leseempfehlungen besteht, kommt mir das schon ein bisschen komisch vor.. .Ich finde auch wenn man das Buch zugeschickt bekommen hat und dementsprechend nichts dafür gezahlt hat, ist man seinen Lesern doch irgendwo verpflichtet eine ehrliche Meinung darzugeben. Dein Blog wirkt auf mich jedenfalls super authentisch und genau das gefällt mir so gut!

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    1. Hallo! Ich habe gleich deinen Blog aufgesucht, damit ich wenigstens einen Namen habe, bei dem ich mich bedanken kann für dieses wunderschönen Kommentar. Den habe ich leider nicht gefunden, dafür ungeplant einen ziemlich tollen Blog. Da gehe ich gleich nochmals zurück stöbern!

      Ich muss zugeben, dass ich diese Ferien ein gutes Buch um das andere gelesen habe, da werden wohl noch einige positive Rezensionen schreiben. Aber ich weiss genau was du meinst! Es ist ja nicht, dass man ein Buch nicht mehr lieben darf, aber ich versuche wirklich, meine ehrliche Meinung in die Rezension zu stecken, weil ich das, wenn nicht meinen LeserInnen, dann zumindest dem Buch und der Autorin schuldig bin. Ich denke allgemein, wenn man über ein Buch diskutiert, ist man dazu verpflichtet, die Kritikpunkte auch zu benennen, das bedeutet nicht, dass man anderen vorschreibt, wie man das Buch finden soll, sondern nur, dass man versucht, seinen Lesern den Prozess des Lesens wie mitzugeben. Vom Inhalt kann man das ja nicht, dann würde man spoilern, aber definitiv von seinen Gedanken...

      Nochmals vielen Dank für deinen liebevollen Kommentar, ich hab mich sehr gefreut!
      Herzlichst,
      Mara

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