Heute haben wir nun endlich das Gespräch mit Isabel Abedi für euch! Das war ein echtes Highlight an der Buchmesse und wir denken immer wieder gerne daran zurück. Es war auch sehr schön, diesen Post zu verfassen, weil wir die fünfundvierzigminütige Aufnahme noch einmal hören konnten.
Als erstes haben wir bemerkt, dass wir schon ein baldiges Wiedersehen vor uns haben, da sie im Rahmen von Zürich Liest eine Lesung in unserer Heimatsstadt halten würde - diese war übrigens sehr schön, danke Dir, Isabel für die tolle Lesung und natürlich auch das wirklich schöne Gespräche.
Isabel Abedi: Zeigt mal eure Visitenkarten! Vivre avec des livres... Also ich bin ja nicht so gut in Französisch, aber ich weiss wenigstens was es heisst! Leben mit den Büchern!! Wie alt seid ihr? Ich bin neunundvierzig. Ihr seht etwa so alt aus, wie ihr seid, aber wenn ich meine Augen schliessen würde und euch nur beim Sprechen zuhören würde, hätte ich euch viel älter eingeschätzt... Also: Habt ihr Fragen?
Mara und Anaïs (nachdem wir noch kurz über all die anderen Fragen gesprochen haben, haben wir begonnen): Welcher Satz beschreibt dich gut?
Welcher Satz beschreibt mich gut? Ohhh, das ist schwer. Super! Schöne Frage (pause) (pause) BOAHH... (pause...) Ein Satz der mich gut beschreibt ist, das ist das, was im Moment gerade passiert, das ist das Gefühl, dass so viele Gedanken in meinem Kopf sind, als würden 18 Autobahnspuren sich einen Weg aus einem Tunnel hinausbahnen. Es ist viel mehr da, ich möchte am liebsten alles rauslassen. Ich möchte das sagen was stimmt, aber ich könnte es so sagen und so sagen. Aber das ist kein Satz. Also... Ich könnte das halt so in Eigenschaften sagen- dass ich chaotisch, emphatisch und unsicher bin, oder chaotisch, emphatisch und fantasievoll! 'Ich bin voller Gegensätze', ist ein Satz der auch gut passen würde. Ich meine, ich könnte mich von der einen Seite beschrieben und von der anderen- ich könnte sagen ich bin chaotisch oder ich bin organisiert, ich bin unsicher, könnte aber auch sagen ich bin selbstsicher.
Ein Satz der auch gut wäre ist, 'Ich bin gerne glücklich'- das wär ein Satz. 'Ich bin gerne glücklich', ja, in dem Satz finde ich mich wieder. Ich bin nicht immer glücklich, aber ich bin gerne glücklich. Das heisst auch, wenn irgendetwas nicht gut läuft oder irgendetwas ist unangenehm, dann versuch' ich mir da das Glück reinzureden, und das heisst nicht, dass ich Sachen schönrede oder, man kann es auch so sehen, dass ich Sachen romantisiere, aber ich finde es einfach schöner, glücklich zu sein.
Jetzt könnte ich wieder genauso sagen 'ich bin gerne traurig!', dass ich nie traurig bin heisst es nicht. Ich weine auch wenn ich traurig bin. Ich glaube einfach, ich bin ein Mensch, der sehr viel Glück in sich trägt.
Inwiefern definierst du dich über deine Bücher / als die Autorin deiner Bücher? Wie viel von Dir steckt in deinen Büchern drin?
Ich identifiziere mich sehr mit meinen Büchern, ich kann das Schreiben nicht vom Leben trennen, ich kann das Leben nicht vom Schreiben trennen. Aber wenn ich eine Geschichte schreibe, dann ist es zum Beispiel auch so, dass die Figuren in den Büchern für mich so echt werden, wie echte Figuren. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass die Bücher auch mehr oder weniger stark mit mir verbunden sind, am stärksten natürlich 'Imago'. Ich bin eben auch ohne Vater grossgeworden und habe ihn erst mit vierzehn flüchtig kennengelernt, das hat mich sehr stark geprägt. All die Fantasien die man hat- deswegen hat Imago auch am meisten mit mir zu tun. Die Figuren sind aber total fiktiv. Bei Whisper und ganz stark bei der Längsten Nacht sind die Schauplätze real. Das Dorf von Whisper ist ein Dorf aus meiner Kindheit, dort habe ich viel Ferien als Stadtkind verbracht.
Genau, das war auch 'ne Frage von uns- Wie kannst du diese Stimmungen, diese Orte, diese Gerüchte und alles so genau beschreiben?
Ja, bei der längsten Nacht ist es auch so gewesen, dass ich den Wunsch hatte, nochmal über einen Ort zu schreiben, den ich so gut kenne. Und die Schauplätze aus der längsten Nacht sind alle richtig real, zum Beispiel das Kloster in San Giorgano, das heisst in Wirklichkeit San Galgano. Oder Viagello, das heisst San Giustino. Und vor allem das Grundstück auf dem die Geschichte spielt, dort habe ich als Mutter mit meinen Kindern viele Sommer verbracht. Und allgemein, es gibt den Fluss, es gibt den Wasserfall, es gibt das Dorf und das ist eben alles so beschrieben, wie es in der Wirklichkeit ist. Und dann habe ich dieses Grundstück, in dem Luca lebt, der Weinberg mit der Villa mit dem Winzer, dass sind zwei Orte, die ich aber aus Umbeien dazugeholt und in meinem Kopf zusammen fusioniert habe, dort gibt es das alte Herrenhaus, den Stall, die Koppel und eben den Weinberg.
Aber trotzdem, all das - wie es da riecht, wie es da schmeckt, wie sich die Sonne anfühlt, wie die Hitze ist, wie der Wasserfall geschaffen ist, wie der Fluss aussieht, wie es ist, da drüber zu laufen, wie die Gassen im Dorf sind, wie es auf diesem Grundstück aussieht, das habe ich mir alles nicht ausgedacht.
Bei mir ist es so, dass ich keine grosse Fantasie im Bezug auf Landschaften und Orte habe und die Realität dafür brauche. Dafür geht dann die Fantasie stärker oder vollkommen in die Geschichte. Ich habe also einen Ort genommen und dem eine Geschichte angedichtet.
Ich habe die Geschichte aus meiner Erinnerugn geschrieben und bin jetzt da nochmal hin, sieht's anders aus? ... Nö sieht noch ganz genauso aus, aber das Verrückte ist, ich war jetzt sechs Jahre nicht mehr da. Und jetzt bin ich da nochmal hin- zum diesem Wasserfall, zu diesem Kloster, was inzwischen abgeschlossen ist, früher aber nicht - richtig unheimlich! - und ich hab noch, als ich den Roman geschrieben habe gedacht, ist doch Schwachsinn, wieso schliesst man das ab. Also man kann schon rein wie in ein Museum, um 18uhr wird es dann aber abgeschlossen. Früher konnte man da frühmorgens oder spätnachts rein, was wir dann auch gemacht haben. Und als ich dann eben da war, da hab ich's im Kopf nicht mehr sortiert bekommen - Moment mal, bin ich in meiner Erinnerung und Vergangenheit oder in meiner Geschichte? Das war echt, echt... unheimlich. Genau.
Apropos unheimlich, weisst du was? Jetzt kommt eine Geschichte von uns: vor den Ferien gingen wir mal mit Freunden an den See, grillieren, und da kamen etwa fünf Typen mit dem namen Luca vorbei. Und seit da verfolgt uns dieser Name irgendwie, alle und überall heissen sie Luca - hier im Buch beispielsweise! Oder Lucas vom Fischer Verlag (liebe Grüsse an Dich!)
Wahnsinn!
Jetzt noch mehr zu deinem Leseverhalten. Wir haben uns einerseits gefragt, ob du Kinder- und Jugendbücher auch privat liest und ob du auch liest, während du schreibst.
Ich würde jetzt von mir aus nie sagen, dass ich nur für Kinder und Jugendliche schreibe. Ich würde immer sagen, ich schreibe nicht für, sondern von Kindern und Jugendlichen. Beim lesen von Büchern ist es genauso. Ich fände eine Welt schön, in der es diese Schubladen nicht gäbe. Ich fände es schön, würde in einer Buchhandlungen Kinder- und Jugendbücher, wie wir sie nennen, nicht nach Alter, sondern schlichtweg thematisch sortieren werden. Ich denke, meine Büchern könnten auch in der Belletristik stehen. Das Wort Zielgruppe schalte ich total aus, das ist einfach für mich so. Und wenn ich ein Buch schreibe, dann habe ich sehr wohl eine Auswahl an Büchern, die dazu passen. Bei der längsten Nacht habe ich beispielsweise Bücher gelesen, die in Italien spielen, zwei tolle Biographien, auch eines meiner Lieblingsbücher von Barbara Vine, Es scheint die Sonne noch so schön, welches in einem heissen Sommer spielt. Ich mag da unglaublich gern, wie stark sie in diesem Buch den Ort, aber auch die Gerüche beschreibt. Ich kuck mir dann da an, wie sie einen Garten oder wie sie die Hitze beschreibt. Ich kann auch keine Bücher lesen, die thematisch Gefahr laufen, zu nah am Buch zu sein oder zu weit entfernt, und auch kein Kinderbuch, wenn ich ein Jugendbuch schreibe. Wenn ich ein Lolabuch schreibe, lese ich tatsächlich auch nur Bücher für Kinder, damit ich mich besser in diese Kindlichkeit hineinversetzen kann.
Es gibt ein ganz schönes Hotel in Hamburg, das Wedinahotel, nennt sich auch Literaturhotel. Und dieses Wedinahotel hat einmal ein Wochenende gehabt an dem eine handvoll Hamburger Autoren und Autorinnen ein Zimmer besetzt haben und darin Lesungen hatten. Dann haben sie Gäste eingeladen und diese konnten dann von Zimmer zu Zimmer gehen. Ich war die einzige Kinder- und Jugendbuchautorin, und das war so beworben, dass das irgendwie nicht richtig ersichtlich war. Das heisst, es kamen nur Erwachsene und ein Kind. Und ich dachte mir die ganze Zeit nur so 'Zu dir wird keiner kommen', ich sass da mit meinen Lolabüchern. Aber dann war es total schön, es waren sehr viele Leute da und sie wechselten ständig die Zimmer. Bei mir war es immer voll, aber irgendwann waren nur noch zwei sehr alte Männer da, bestimmt über 70, die setzten sich zu mir hin. Ich hab' sie angeguckt und gesagt 'Ja aber, Sie sind nicht wirklich die Zielgruppe, das ist ein Kinderbuch'. Und dann erwiderten sie 'Deswegen sind wir ja da, das möchten wir doch so gerne hören!' Ich musste wirklich fast weinen... Ich habe ihnen dann eine Szene vorgelesen und die kriegten dann solche Augen und waren fast selbst wieder wie Kinder.
So ne schöne Geschichte! Nun noch eine Frage; Worüber machst du dir komische Gedanken?
Ich mach mir oft komische Gedanken über die Zukunft meines Schreibens (wieder wird jemand lautstark und herzlich begrüsst, es werden Fotos von uns drei geschossen). Gut, wo waren wir... ach komische Gedanken! Ich denke mir manchmal 'und ab JETZT wird nichts mehr klappen, ab JETZT wird dir nichts mehr einfallen- das nächste Buch wirst du nicht schaffen. Auch während eines Buches habe ich komische Gedanken. Ich habe so wie kleine Monster in meinem- wie bei der Muppetshow,! Und in meiner Vorstellung ist es dann so, dass die gerne Chips essen und ich geb denen immer Chipstüten, damit die ruhig sind während des Essens, damit ich schön weiter schreiben kann. Ich mach mir tatsächlich auch oft komische Gedanken über meine Tochter, die ist jetzt in Brasilien (freiwilliges soziales Jahr). (Mara verschwindet auf die Toilette) Ich mache mir dann Gedanken darüber, wie es ihr geht, was sie macht, was passiert. Wenn ich im Zug sitze mache ich mir zum Beispiel auch immer merkwürdige Gedanken über meine Mitreisenden, was könnte mit denen sein, wohin fahren sie... Genau.
Machen dir deine Gedanken manchmal auch Angst?
Ja klar. Mir fällt jetzt spontan grad eine Kindheitserinnerung ein. Wir wohnten damals im dritten Stock eines Mietshauses. und dann habe ich mir vorgestellt, ich schloss unten die Türe auf, die ging dann ja von selber wieder zu. Und dann habe ich mir überlegt, ich müsse auf einer bestimmten Treppenstufe sein, eine bestimmte Höhe erreicht haben, bevor die Tür zuklappt- sonst passiert was Schreckliches. Das fing wie so ein Spiel an, wurde dann aber wie ein Zwang- ich raste irgendwann hoch wie eine Bescheuerte. (Mara ist wieder da - salut!).
Mich beschreibt auch so dieses 'was wäre wenn'... sehr gut. Ich bin in einer realen Situation - und plötzlich gehen alle Lichter aus. Ich war gestern im Agentenzenter, und dort ist alles, alles weiss. Und dann habe ich mir überlegt, was wäre, wenn irgendein komisches Ereignis passieren würden und alle auf der Buchmesse wären weg, bis auf die Agenten dort oben. Solche Gedanken halt - aber letztendlich sind das ja auch die Gedanken, aus denen Bücher entstehen! (es kommt wieder jemand)
Wenn wir von Inspiration sprechen - du hast eben von diesen Gedankengängen und auch von diesen Bücherfächern gesprochen - was inspiriert dich sonst noch?
Tatsächlich, das ist zwar ein Klischee und einige Schriftsteller_innen sagen das auch so zum Spass, aber ein heisses Bad hilft immer. Also das ist sowas, ich entspann mich dann und dann können die Gedanken bei mir im wahrsten Sinne des Wortes wieder fliessen. Dann kann es auch passieren, dass ich in der Badewanne liege, und dann plötzlich auch schon wieder rausspringe. Das ist nämlich auch ein Ort, der mir ermöglicht, mich aus mir selbst heraus zu inspirieren.
Ich gucke auch sehr gerne Filme oder Serien, das darf aber auch nicht verwandt sein mit dem was ich gerade schreibe. Da kann ich sehr gut sehen, wie Figuren entwickelt werden, gerade in Staffeln.
Auch sehr inspirierend finde ich so was hier - Gespräche mit Jugendlichen, die inspirieren mich immer am meisten, mehr als Gespräche mit Erwachsenen und mehr als Gespräche mit Kindern. Keine Ahnung... Ich glaube, dass ich selber ganz viel von Jugendlichen habe. In den Jugendlichen sind so wie beide Welten noch drin, das Kindliche und doch auch das Erwachsene. Einerseits können sie sich so oft vor Albernheit wegschmeissen, aber auch philosophische Gespräche führen, sich die grössten Seins-Fragen stellen und die Welt am meisten in Frage stellen. Als Kind sammelst du vor allem Erfahrungen und alles, es gibt dieses Staunende. Aber als Jugendliche beginnst du dann, das zu hinterfragen. Und ich glaube, ich habe nie wirklich aufgehört, das zu tun. Ich habe nie einsortiert und abgeschlossen. Mich kannst du noch genauso überraschen wie damals und ich stelle immer noch in Frage, das habe ich mir erhalten. Und deswegen inspiriert mich das total.
Abschliessen können wir uns nur ganz herzlich danken für die schöne Zeit, die wir mit Isabel Abedi verbringen durften und für den spannenden Gesprächsstoff. All das war eine grosse Inspiration für uns! Am Sonntag um 14 Uhr könnt ihr hier noch unsere Besprechung zu Isabels neustem Buch 'Die längste Nacht' lesen - falls ihr es während des Gesprächs noch nicht bemerkt haben, es hat uns unglaublich gut gefallen. Vielen Dank für's Lesen.