Über das Lesen und die Lebensphasen | Sylvia Plaths 'Glasglocke'

08 April 2018

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Vor 50 Jahren erschien die amerikanische Erstausgabe der Glasglocke, Sylvia Plaths einzigem Roman – vier Wochen später nahm Plath sich das Leben. Ihr Roman avancierte bald zum Kult, beschrieb er doch wie kein Buch zuvor die Stimmungslage junger Frauen, ihre Zerrissenheit angesichts gesellschaftlicher Anforderungen.

»Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte«: Die neunzehnjährige Esther gewinnt eine vierwöchige Hospitanz bei einem Modemagazin in New York, garniert mit Partyeinladungen und Werbegeschenken. Doch Esther, bisher strebsame Studentin, kann sich weder in den Arbeitsalltag so recht einfinden noch die Verlockungen der Stadt genießen. Sie fühlt sich, als lebte sie unter einer Glasglocke, die sie mehr und mehr von allem trennt …



Einmal schon habe ich in die Glasglocke hineingeblättert und mich auf den ersten Seiten von Plaths Schreibstil getragen, bewegt und verstanden gefühlt - von der Geschichte aber nicht. Es waren wenige Seiten, die Zerrissenheit der Protagonistin erst angetönt in den Handlungen des Alltags. Dann legte ich das Buch wieder weg. Gewissermassen hatte ich wohl Angst vor dem, was ich bereits über das Buch gehört habe. Angst vor den Suizidgedanken, Angst vor der beschriebenen Depression. 

Es ist einige Zeit vergangen, irgendwann im Januar habe ich bei einem überraschend lauen Abend mit einer Freundin auf ihrer Terrasse gesessen und über alles mögliche geredet. Sie erzählte mir von einer 'depressiven Phase', die sie hatte. Davon, dass sie Sylvia Plaths Buch damals gekauft habe. Dass sie es immer noch nicht gelesen hat, dass sie nicht weiss, ob sie das Buch lesen soll, wenn sie sich gut fühlt, oder wenn sie sich schlecht fühlt. Ich las es daraufhin - natürlich nicht für die Freundin, sondern für mich. Und ich hatte immer noch Angst und machte mich ihrer diesmal auch ganz bewusst, in dem ich langsam durch den Roman glitt, mir Zeit nahm für die einzelnen Zeilen. Und doch war das Gefühl ein ganz anderes, als ich es erwartet habe. Das Buch passierte irgendwo neben mir, nahm ich nicht richtig wahr. Die Seiten plätscherten so dahin, die Worte, die Buchstaben. Ich frage mich, ob ich nicht in der richtigen Stimmung war. Denn das macht so viel aus bei Büchern. Ob es gerade in unser Leben, in unsere Vorstellung passt. Jenachdem streicht es gewisse Dinge heraus, lässt uns einiges bewusst werden. Das Lesen führt uns Wahrheiten vors Gesicht und lehrt uns Dinge, nicht nur die, die darinstehen, sondern so viel mehr. Das mag ich genau daran, aber genau das macht es so individuell und so schwierig. Und das hat mich 'die Glasglocke' wohl auch nicht verstehen lassen. Ich war noch nie so distanziert beim Lesen eines Buches. Ist es eine Barriere, die ich mir unterbewust aufgebaut habe und nicht eingestehen kann? Ist es das Buch selbst, ist der Kult darum nicht gerechtfertigt? Und so kommt es, dass ich mich ungewöhnlich lange mit dem Buch beschäftige, während es mir sehr wenig beim Lesen selbst bieten konnte. Aber vielleicht ist genau das dieses Mal der Zauber daran.


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