Kukolka von Lana Lux | Buchbesprechung

17 Januar 2018

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Ukraine, 90er Jahre. Große Party der Freiheit. Manche tanzen und fressen oben auf dem Trümmerhaufen der Sowjetunion, andere versuchen noch, ihn zu erklimmen. Auch Samira. Mit sieben Jahren macht sie sich auf die Suche nach Freiheit und Wohlstand. Während teure Autos die Straßen schmücken, lebt Samira mit ein paar anderen Kids in einem Haus, wo es keinen Strom, kein warmes Wasser und kein Klo gibt. Aber es geht ihr bestens. Sie hat ein eigenes Sofa zum Schlafen und eine fast erwachsene Freundin, die ihr alles beibringt. Außerdem hat sie einen Job, und den macht sie gut: betteln. Niemand kann diesem schönen Kind widerstehen, auch Rocky nicht. Er nennt sie Kukolka, Püppchen. Wenn Kukolka ihn lange genug massiert, gibt er ihr sogar Schokolade. Alles scheint perfekt zu sein. Doch Samira hält an ihrem Traum von Deutschland fest. Und ihr Traum wird in Erfüllung gehen, komme, was wolle.
Lana Lux hat einen gnadenlos realistischen Roman über Ausbeutung, Gewalt und Schikane geschrieben, über ein Leben am Rande der Gesellschaft, geführt von einer Heldin, die trotz allem schillernder nicht sein könnte.

In diesem Roman ist immer zu die Rede von Winter. Es scheint kaum jemals die Sonne, das Gefühl, das Lana Lux dem Leser vermittelt, ist düster, perspektivenlos, hart, eiskalt und die nackte Wahrheit. Ich habe es an nur einem einzigen Ferientag in einer warmen Stube in den Schweizer Alpen durchgelesen. Schon lange hat mich kein Buch mehr so gerührt und gefesselt wie dieses hier. Das liegt bestimmt zu einem Grossteil daran, dass ich es verschlungen habe. Der Schreibstil ist leicht, sehr umgangssprachlich und sehr passend zur Geschichte - genau das macht sie wohl so authentisch. Alles wird bis ins kleinste Detail genau beschrieben, jeder beschriebene Ort konnte ich mir genau vorstellen, die Gefühle habe ich so genau gespürt, als wären sie meine eigenen. Die Protagonistin dieses Buches heisst Samira. Sie erzählt uns ihre Geschichte, die 1993 beginnt, als sie sieben Jahre alt war. Samira wurde nie bei ihrem Namen genannt, sie war immer Kukolka. 


Alle nannte man immer mit ihrem Namen, nur ich war erst Kukolka und dann Krysa. Von Püppchen zu Ratte. Ein derber Abstieg.
Kukolka, Seite 358



Mit sieben Jahren ist das schöne Mädchen aus dem Kinderheim ausgebrochen, sie möchte zu ihrer Freundin Marina, die bereits nach Deutschland adoptiert wurde, wird allerdings von Rocky abgefangen, er führt sie in sein Haus, dort lebt sie für die nächsten Jahre zusammen mit anderen Kindern, die kein Zuhause mehr haben. Ihr Job ist das Betteln und Klauen. Ähnlich wie bei Oliver Twist, lebt Samira in einem solchen abgekommenen Haus und wird zu einer kleinen Diebin gemacht. Oliver und Samira haben sowieso viel gemeinsam, beide sind sie Waisenkinder, beide sind sie noch jung, beide sind sie aus dem Heim abgehauen, beide sind sie sehr starke Charaktere, die man unglaublich schnell ans Herz schliesst, beide können sie sich einer Diebesgruppe anschliessen, beide leben sie ihren Traum. Rocky nimmt in dieser Geschichte die Rolle von Fagin ein, beide treiben sie illegale Geschäfte und bereichern sich durch die Arbeiten der Kinder. Samira hat nicht nur atemberaubend schöne Augen, sondern ist auch eine talentierte Sängerin. Bald verdient sie am meisten Geld durch ihr Gesangtalent. Dieses führt sie schlussendlich auch nach Deutschland, wo weitere Schicksalsschläge auf die junge Schönheit warten. 

Aber stimmt, ich korrigiere mich, es gibt zwei Sachen, die immer helfen - Wodka und Musik. 
Kukolka, Seite 137

Ich habe es geliebt dieses Buch zu lesen, ich habe selten so sehr mit einer Protagonistin mitgefiebert und mitgelebt. Sie hat mich zu tiefst berührt. Das Buch ist auf der einen Seite so traurig, so grau und so perspektivelos und doch spürt man die Willens- und Überlebenskraft, die Hoffnung und die Kraft seine Träume nicht loszulassen. Nachdem ich das Buch zugeschlagen habe, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

Liebe ist Vertrauen. Das habe ich einmal auf einer Werbung für Kondome gelesen. 
Kukolka, Seite 308

Neben dem wahnsinnigen Inhalt, hat mich auch das Cover absolut faszinieren können. Das hübsche Mädchen hat mich im Buchladen gerade zu angelächelt, ich habe mich in das chaotische Wohnzimmer verliebt, es sieht so aus, als würde man sich darin wohlfühlen. Das hört sich relativ paradox an, das zu sagen, wenn man das Buch gelesen hat. Aber es ist irgendwie so, der Raum sieht so einladend aus... Zur Autorin: Lana Lux ist 1986 in der Ukraine geboren und im Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie als Kontingentflüchtling nach Deutschland geflohen. In einem Interview mit der Jetzt habe ich noch einiges über die Beweggründe der Geschichte erfahren, was ich sehr spannend fand. Schaut unbedingt rein, hier der Link. Samiras Geschichte ist Lana Lux quasi zugeflogen, als sie das berühmte Bild des afghanischen Mädchens mit den hellen Augen sah. Ich bin beeindruckt von dieser bildhübschen Autorin und ihrem Debütroman, ich empfehle ihn euch wärmstens. Er ist für mich von vorne bis hinten aufgegangen, mein Herz ist aufgegangen.


2 Kommentare
  1. Du hast mich gerade so was von überzeugt, dass ich dieses Buch lesen MUSS! :)

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