Heute möchte ich wieder einmal auf das bewegte Bild zu sprechen kommen. Weihnachtsferien bedeuten für mich immer ein Abschalten und Runterkommen in vielen Bereichen, aber definitiv nicht, wenn es um Kultur geht. So ist es die Zeit, in der ich oft am meisten zum Lesen komme. Kultur schliesst aber eben, wie schon erwähnt, auch das bewegte Bild nicht aus, auf das ich in diesem Beitrag genauer zu sprechen komme. Denn tatsächlich habe ich es geschafft, drei Filme im Kino zu sehen, bevor sie ablaufen - jedenfalls in Zürich. Und, die viel wichtigere Besonderheit - ich kann sie euch allesamt nur zu Herzen legen. Aber fangen wir mal an.
'Dancer' von Steven Cantor
Am längsten zurück liegt mein Kinobesuch von Dancer, ich habe den Film im Rahmen des Zürcher Filmfestivals sehen dürfen. ER ist das neuste Werk von Steven Cantor, Regisseur sowie Produzent unzähliger anderer Titel, die mir aber alle unbekannt sind. Dennoch ist diese atemberaubende Dokumentation Grund genug, sich mit weiteren seiner Werken zu verfassen. Der schlichte, beinahe einfallslos wirkende Titel verrät schon alles und hat wohl keinen Film und kein 'Tänzer' selbst besser beschrieben als Sergei Polunin und die Dokumentation über sein Leben und seine Tanzkunst.
Dabei ist sie mit einer fast plotartigen Spannung versehen. Denn Polunin begann das Tanzen in jungen Alter, angetrieben von seinem aussergewöhnlichen Talent und dem Wunsch, die Familie zusammenzuhalten. Jedoch basiert solche Entwicklungen nicht auf den Erfolgen des Sohns, wie auch Polunin schmerzhaft feststellen muss - noch dazu passiert die Trennung beinahe doppelt für ihn, denn die Annahme an einer der renommiertesten Tanzschulen bedeutet nicht nur eine harte Zukunft in Betracht von Stunden innerhalb verglaster Tanzsäle, sondern auch ein Wegzug von seiner Familie und seiner Heimat.
Doch wir sehen vor allem sein Talent, seine Faszination für die Bewegung, für die Emotionen auf der Bühne, der totalen Anspannung eines Körpers, dessen Verkrümmungen und all die Möglichkeiten, zu tanzen, in jedem Augenblick. Kein Film zeigt wohl schöner, was Tanz alles kann, als Dancer. Aber er kann nicht alles retten. Und er kann nicht alles abhalten. So waren es die Medien und die Drogen, die einen Fall, Polunins Fall verkündeten. Vielleicht war es aber auch alleine die Gewissheit, dass er der stärkste Tänzer der Welt ist. Dass er ganz oben angekommen ist, und wie die obersten Stockwerke, die obersten Ausichtsplattformen es so an sich haben, geht es nicht höher und es umgibt sie ein Gerüst, wenig anders war es für ihn. Für Polunin gab es nichts anderes mehr als der Tanz, und deswegen - 'he just exploded'. Vielleicht hat er sich da einfach rausgestürzt, war nicht mehr gefangen. Denn zum ersten Mal wechselte er die Seiten, war kreativ und kreierte sein eigenes Stück zu Hoziers Welthit 'Take Me To Church', um Abschied zu nehmen von der Tanzwelt. Und dieses Projekt, dieser Abschied ist gleichzeitig der Beginn. Denn Polunin tanzt noch immer, wie wir erfahren, eine Botschaft, die wohl für alle Zuschauer_innen die frohste Botschaft seit langem ist, so stark fährt einem dieser Film ans Herz.
Kurgesagt, Dancer kombiniert das Beste von Tanz und Film, das Beste beider Welten und ist mit Abstand einer der stärksten Künstlerbiographien die das Kino je zeigen wird, da glaube nicht nur ich fest daran.
Vor wenigen Wochen habe ich den bis dahin neusten Wurf von Jim Jarmusch gesehen; in Only Lovers Left Alive geht es um Vampire. Erstmal abschreckend, ich weiss. Aber dafür muss man Jim Jarmusch kennen - was ich natürlich noch nicht wirklich tat. Bei ihm stehen Vampire dafür, unglaublich viel Lebenszeit zu haben, um sich zu bilden. Sie sind kultiviert und intellektuell, setzen sich in ihren vielen Jahren mit Musik und Literatur auseinander, kennen die Verfasser von Werken wie Shakespeare und führen Fernbeziehungen - Detroit und Tanger. Tilda Swinton und Tom Hiddleston, wunderschöne Bilder und ein fantastischer Soundtrack faszinierten mich und überzeugten mich von A bis Z.
Und dann erschien Paterson. Paterson scheint ein typischer Jim Jarmusch Film zu sein. Er ist ruhig, widmet sich etwas eigenwilligen Personen und zeichnet sie unglaublich liebevoll mit all ihren Seltsamheiten, welche von der Kamera besondere Augenblicke geschenkt bekommen. Die Ortschaft ist hier keine poetische Metropole, ihr wird aber genauso viel Herzblut gewidmet: die Stadt in New Jersey teilt sich ihren Namen mit dem Protagonisten. Und dieser teilt sein Herzblut wiederum mit seiner Freundin und dem Schreiben. Er ist Busfahrer und beobachtet die alltäglichen Szenen und denkt sich dabei, was er will - genauso wie wir, viel mehr bekommen wir nämlich nicht mit. Der Film zeigt eine ganze Woche von Paterson, ein Busfahrer, der sich 'der Poesie verschrieben hat' (mit viel Hingabe: Adam Driver) und Laura (eine sehr herzensgute und wunderschöne Golshifteh Farahani) und zeigt doch so viel mehr, eigentlich ihr ganzes Leben oder ihr Ideal. Denn sie sind von Grund auf zufriedene Menschen, zufrieden in dem, was sie tun, was sie haben und was sie sich einander geben, auch wenn sie nicht ihre Träume in einer Absolutheit teilen, die sich wohl viele andere Menschen zum Ziel setzen. In ihrer poetischen Ruhe haben beide Filme also viel gemeinsam, auch wenn in seinem Film von 2013 der Fokus auf der Langeweile des Lebens ruht und hier auf den schönen Moment des Alltags - es sind kleine Wunderwerke die man einfach lieben muss, sie sind innig und tragen alle viel Liebe in sich.
Auch hier ein Meisterwerk eines Regisseurs, der sein Handwerk mehr als einfach nur beherrscht, wie ich gehört und bei diesem Film gemerkt habe. I, Daniel Blake ist mein erster Film von Ken Loach und doch scheint auch bei ihm ein roter Faden durch. Sight and Sound schreibt zu I, Daniel Blake 'Ken Loach is back with a protest cry for common humanity'. Die Geschichte von Daniel Blake ist wohl irgendwie der gewöhnlichste Film von allen dreien, wenn man nach den üblichen Bewertungsschemen geht: es ist ein Spielfilm und es passiert auch deutlich mehr als in Paterson. Und doch liegt er mir mindestens so sehr wie die anderen beiden am Herzen. Die Aussage ist hier zwar klar, aber unglaublich schwierig in Worte zu fassen, wie der ganze Film. Unser Protagonist und in diesem Fall wirklich überzeugender Held Daniel Blake ist 59, Witwer und war sein ganzes Leben lang Schreiner. Ein Unfall, dann ist nichts mehr wie davor. Der Film steht also in gewissem Masse dafür, wie schnell man in unserer Gesellschaft abrutschen kann und wie die Bürokratie im Wesen der Sozialhilfe da nur beitragen, anstatt wirklich zu helfen. Auf seinem Weg (runter) trifft er Katie, alleinerziehende Mutter zweier bezaubernder Kinder, der es ähnlich geht. Und auch ansonsten trifft er auf ziemlich viele Menschen, die bereitwillig sind zu helfen, die aus der Unterschicht - die einzige Hoffnung und vielleicht auch der einzige überspitzte Punkt in diesem Drama, das das Leben schrieb. Ich möchte gar nicht zu viel vom Film verraten, möchte euch lieber einfach versichern, dass ihr Daniel Blake und Katie nicht so schnell vergessen werdet. Stücke aus dem Film kann man überall finden, womöglich fand so auch Ken Loach Inspiration für sein starkes Werk. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Szene, die ich in unserem Zürich miterlebt habe - ein Bettler teilte sein Geld mit einem anderen Clochard, der auf Kleingeld angewiesen war, sichtlich wurde, dass sie sich zumindest zuvor nicht kannten. Oder als ich wenig Tage nach dem Kinobesuch in den Medien (hier) ähnliche Geschichten entdeckte. Dass das Leben viel häufiger eine dramatische Wendung in diese Richtung nimmt (Sozialhilfeempfänger_innen, dieses Schicksal müssten rund 10% der deutschen Bevölkerung kennen...), passt nicht zu den oft verfilmten Schicksalen von Erfolg und Reichtum und nicht nur deswegen ist I, Daniel Blake wichtig - auch sonst ist er von Meister_innen geschaffen und absolut sehenswert, Dave Johns und Hayley Squires in herzbrechenden und doch auch mutmachenden Hauptrollen beispielsweise.
Vielen Dank für die vielen Filmtipps! ich war früher gar kein Filmmensch; doch seit diesen Weihnachtsferien hat sich das komplett geändert. Ich kenne auch keinen der genannten Filme, aber Tanzfilme haben es mir schon immer angetan, deshalb wird Dancer bald geguckt:)
AntwortenLöschenxx Ana www.disasterdiary.de
Was für ein schöner Kommentar, liebe Ana - danke! <3 Ich habe mich sehr darüber gefreut! Mir ging es ähnlich, aber dazwischen habe ich immer wieder Juwelen gesehen und sogar begonnen, ein Filmtagebuch zu führen und da spürte ich irgendwie einfach, dass ich gerne mehr und auch selektioniertere Filme schauen möchte, dann auch mehr darüber lesen und erfahren und mit euch teilen möchte. Dancer ist fantastisch, lass mich wissen, wie er dir gefallen hat, ja?
AntwortenLöschenLiebst,
Mara Luna